Wiener Zentralfriedhof
Der Wiener Zentralfriedhof ist nach dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg der zweitgrößte in Europa. Auf 250 Hektar befinden sich derzeit rund 330.000 Grabstellen. Insgesamt wurden auf dem 1874 eröffneten Friedhof drei Millionen Menschen beigesetzt, fast doppelt so viele wie in Wien leben.
Beschlossen wurde der Zentralfriedhof 1863 vom Wiener Gemeinderat. Er heißt nicht etwa so, weil er besonders zentral liegen würde, ganz im Gegenteil. Als absehbar war, dass die anderen kommunalen Friedhöfe, die damals bereits aus der Stadt verbannt wurden, bald ihre Kapazitätsgrenzen erreichen würden, hat man sich dazu entschieden einen Friedhof zu errichten, der so großflächig sein sollte, dass seine Aufnahmekapazität quasi nie erreicht werden kann. Seine Größe wurde seinerzeit noch für die Hauptstadt des habsburgischen Vielvölkerstaats und damit eine Metropole mit vier Millionen Einwohnern berechnet. Aktuellen Berechnungen zufolge bietet der Zentralfriedhof noch bis zum Jahr 4000 Platz.
Von Beginn an wurde die Konfessionslosigkeit der Anlage betont, gleichzeitig den verschiedenen Glaubensgemeinschaften aber auch die Option zur Einrichtung eigener Abteilungen eingeräumt. Und so gibt es neben dem interkonfessionellen Hauptteil des Zentralfriedhofs, der jedem Verstorbenen, ungeachtet seiner Religionszugehörigkeit, als letzte Ruhestätte dient, auch Abteilungen diverser Konfessionen. So gibt es einen buddhistischen, evangelischen, islamischen, jüdischen, orthodoxen und mormonischen Teil. Die überwiegende Mehrzahl des Hauptteils besteht jedoch aus katholischen Gräbern.
Denn obwohl der interkonfessionelle Charakter maßgeblich war, wurde der Wiener Zentralfriedhof im Morgengrauen des 30. Oktobers 1874 quasi still und heimlich, nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit, katholisch eingeweiht. Geschehen ist dies in Absprache mit dem damaligen Bürgermeister, der sich auf diese Weise dem Protest der Katholiken neigte. Am 1. November 1874 fand die erste Beerdigung statt. Das Grab des Josefstädter Privatiers Jakob Zelzer ist noch heute erhalten.
Gehasst, und doch geliebt
Obwohl seine Gestaltung ausgeschrieben wurde und sich die Teilnehmer auf der ungenutzten Brachfläche voll austoben konnten, war der Zentralfriedhof in den Jahren nach seiner Einweihung noch lange nicht so grün wie heute. Mit ein Anlass, warum er damals alles andere als beliebt war. Wichtigster Grund war und ist jedoch, dass er weit draußen in Simmering liegt, was damals noch nicht einmal zu Wien gehörte.
In einer Zeit, als es noch keinen motorisierten Individualverkehr gab und das Netz des öffentlichen Personennahverkehrs bei weitem nicht so dicht war wie heute, war es eine halbe Weltreise nach hier draußen. Die abgeschiedene Lage brachte auch logistische Probleme mit sich. Es dauerte lange, bis die Pferdekutschen mit den Särgen den Zentralfriedhof erreichten. Auf der Simmeringer Hauptstraße reihte sich ein Erdmöbel an das andere. Diese ständige Konfrontation mit dem Tod schlug den Anwohnern auf die Seele.
Um den Transport zu beschleunigen, heckten die Verantwortlichen so manche kuriose Idee aus. Eine eigene Bahnlinie nur für den Totentransport war genauso im Gespräch wie ein unterirdischer Tunnel. Letztlich aber wurden die Särge genauso befördert wie auch die Friedhofsbesucher auch, nämlich mit der Straßenbahnlinie 71.
Zum Sargtransport gab es einen besonderen Straßenbahnwagen, der schwarz lackiert war und tagsüber möglichst verborgen im Bahnhof Simmering abgestellt wurde. Noch lange Zeit nachdem keine Särge mehr mit der Straßenbahn transportiert wurden, hatten die Wagen Aufhängevorrichtungen für Kränze.
Stirbt jemand, wird im Volksmund noch immer gern gesagt: "Er hat die 71er genommen." Sie wird auch spöttisch als "Witwenexpress" bezeichnet. Tatsächlich ist die Linie die meistfrequentierte in Wien. Wo geht es auch sonst noch mit Kind und Kegel zum Sonntagsspaziergang auf den Friedhof? An Allerheiligen, wenn man sich auf dem Zentralfriedhof gegenseitig auf die Füße tritt, wird ihr Takt verdichtet.
Über 1.000 Ehrengräber
Um den ungeliebten Friedhof attraktiver zu gestalten, entschied man sich Ehrengräber für verdiente Persönlichkeiten zu schaffen, vor allem natürlich für Geistesgrößen und Politiker. Dafür wurden sogar Prominente umgebettet, die bereits auf anderen Friedhöfen beigesetzt wurden. Die meisten der heute über 1.000 Ehrengräber befinden sich in Gruppen geordnet entlang der vom Hauptportal (Tor II) zur Friedhofskirche führenden Allee.
Die Ehrengräber sind in Wien, deren Einwohnern man ja ein inniges Verhältnis zum Tod zuschreibt, wichtiger Bestandteil der Kulturgeschichte. Gleichzeitig stellen sie eine hohe Auszeichnung der Stadt dar. Manches jedoch ist eine Täuschung. Das beliebte Ehrengrab von Wolfgang Amadeus Mozart enthält gar nicht die Gebeine des Komponisten. Er wurde nämlich wie ein Normalsterblicher in einem "einfach allgemeinen Grab" auf dem St. Marxer Friedhof beigesetzt. Seine Gebeine waren deshalb nicht mehr auffindbar.
Seine Kollegen Beethoven und Schubert wurden aber tatsächlich umgebettet. Johannes Brahms wurde direkt auf dem Zentralfriedhof bestattet. Das Grab von Falco, dem einzigen weltweit bekannten Popsänger aus Österreich, hebt sich in seiner Gestaltung deutlich von den anderen ab. Alle Ehrengräber aber beweisen, dass selbst im Tode nicht alle Menschen gleich sind. Das zeigt auch die Präsidentengruft, in der alle österreichischen Bundespräsidenten seit 1945 beigesetzt sind.
Es gibt so viele Ehrengräber, dass für sie diverse Führer geschrieben wurden. Und auch im Rahmen von Führungen kann man sich interessantes berichten lassen. Führungen gibt es in den wärmeren Monaten übrigens zu jedem nur erdenklichen Thema. Sogar Audioguides werden am Haupttor ausgegeben.
Beeindruckende Fauna und Flora
Spannend ist so eine Führung allemal, bietet das Areal des Wiener Zentralfriedhofs doch viel zu entdecken. Oder wussten Sie, dass er selbst im Winter genügend Nahrung für eine Herde von 20 Rehen bietet, die hier heimisch ist? Die zutraulichen, weil oft gefütterten Eichhörnchen werden von den Wienern übrigens Hansi genannt.
Neben der beeindruckenden Fauna und Flora, die die Begräbnisstätte nicht nur zum Ort der Besinnung, sondern auch der Erholung macht, sind selbst die organisatorischen Fakten wissenswert. So gibt es jeden Tag bis zu 40 Beerdigungen auf dem Zentralfriedhof. 180 städtische Beamte sind für seine Verwaltung zuständig. 130 Totengräber sorgen dafür, dass jeder Neuzugang in die richtige Abteilung kommt.
Neben denen der verschiedenen Religionen, gibt es auch die Anatomie, eine Grabanlage für Personen die ihre Körper der Wissenschaft zur Verfügung gestellt haben, einen Babyfriedhof für fehl-und totgeborenen Kinder sowie einen Waldfriedhof. Hinzu kommen zahlreiche Gedenkstätten und Kriegsgräber.
Einen Besuch ist auch der Park der Kraft und Ruhe wert. In fünf verschiedenen, auf die Kräfte der Erde und des Kosmos abgestimmten Landschaftsbereichen werden Besucher zur Bewusstwerdung ihrer Gefühle geführt. Hier können sie Blockaden lösen, die Einheit mit der Natur erleben oder einfach nur Trauer abladen.
Friedhofskirche zum Heiligen Karl Borromäus
Das wichtigste Bauwerk des Wiener Zentralfriedhofs ist zweifelsfrei die Friedhofskirche zum Heiligen Karl Borromäus. Die Grundsteinlegung erfolgte am 11. Mai 1908 durch den Wiener Bürgermeister Karl Lueger, zu dessen Ehren die Kirche nach ihrer Fertigstellung 1910 als Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche benannt wurde. Lueger fand in der Gruft unter dem Hochaltar seine letzte Ruhe.
Ihren heutigen Namen erhielt die Kuppelkirche nachdem sie nach einer Generalsanierung am 27. Oktober 2000 wiedereröffnet wurde. Die architektonische und künstlerische Gestaltung der Karl-Borromäus-Kirche ist dem Jugendstil zuzuordnen. Als Architekt zeichnete sich Max Hegele verantwortlich. Von ihm stammt auch das Hauptportal des Friedhofs. Mittlerweile steht die Kirche unter Denkmalschutz.
Damit vor allem ältere Menschen all die Teile des weitläufigen Geländes überhaupt erreichen können, verkehrt auf dem Zentralfriedhof sogar eine friedhofseigene Buslinie. Gegen eine Gebühr darf man auch mit dem Auto einfahren.
Wenn der Wiener übrigens von einer "scheenen Leich" ("schönen Leiche") spricht, dann ist damit weniger die optische Erscheinung des Toten gemeint, sondern vielmehr der Prunk der Trauerfeier. Gerade in Wien wird nämlich deutlich, dass im Tod mitnichten alle gleich sind. Die Lust an der pompösen Inszenierung der Trauer lässt die Wiener den Tod weniger führten als alle anderen. Andere sprechen gar von Todeslust.
So sehr die Wiener auch über ihren Zentralfriedhof schimpfen, seinem morbiden Scharm sind die meisten dennoch erlegen. Mit Wolfgang Ambros Lied "Es lebe der Zentralfriedhof" besitzt er sogar eine eigene Hymne.