Alles Walzer!
Wiener Ballkultur
Die Faschingszeit, vom 11. November bis zum Faschingsdienst, ist in Wien zugleich Ballsaison. Rund 450 Bälle finden in der österreichischen Hauptstadt jedes Jahr statt. Jeder Berufsstand, jede Organisation und jeder Verein, der etwas auf sich hält, veranstaltet sein eigenes Tanzfest, das im jeweiligen Kosmos natürlich den Höhepunkt des Jahres darstellt. Ob der Ärzteball, der Ball des Sports, der Blumenball (der Wiener Stadtgärtner), der Jägerball, der Juristenball, der Kaffeesiederball, der Rotkreuzball oder der Zuckerbäckerball - in der Saison vergeht kaum ein Tag, an dem nicht mindestens ein Ball stattfindet.
Die ersten großen Bälle beginnen am Silvesterabend, so wie beispielsweise der Kaiserball. Dieser und viele andere Ballvergnügen finden in der Hofburg statt. Einige wenige Bälle finden auch außerhalb der Ballsaison statt, zum Beispiel der Concordia Ball (der Journalisten und Schriftsteller), die Fête Impériale (der Spanischen Hofreitschule) sowie der bunt-schillernde Life Ball, Europas größte Benefizveranstaltung zu Gunsten HIV-infizierter und AIDS-erkrankter Menschen.
Höhepunkt der Ballsaison ist jedes Jahr der Opernball, der im Ballreigen in beinahe jeder Hinsicht eine Sonderstellung einnimmt. Erstmals 1877 abgehalten, geht der Opernball auf die Zeit des Wiener Kongresses 1814/15 zurück. Als gesellschaftlicher Höhepunkt der Metropole und des Landes steht er schon lange vor dem eigentlichen Veranstaltungstag im Blickpunkt der Öffentlichkeit.
Den Abschluss der Ballsaison bilden die Rudolfina-Redoute am Faschingsmontag und das Elmayer-Kränzchen am Faschingsdienstag. Von den vielen Redouten, die es einmal gab, ist die Rudolfina-Redoute die einzige, die bis heute besteht. Als Redoute wird in Österreich ein eleganter Maskenball bezeichnet. Die Maske ist bei solchen Bällen für die Damen verpflichtend. Das Elmayer-Kränzchen ist der Ball von Wiens bekanntester Tanzschule, der Tanzschule Elmayer. Thomas Schäfer-Elmayer zeichnet sich alljährlich für die Choreografien diverser Balleröffnungen verantwortlich.
Tradition aus der Zeit des Wiener Kongresses
Seit dem Wiener Kongress gilt Wien als Hauptstadt der Bälle. In monatelangen Verhandlungen wurde nach der Niederlage Napoleons Europa neu geordnet. Politisch Bevollmächtigte aus über 200 europäischen Staaten nahmen an den Verhandlungen teil. Abends frönten sie dem Tanzvergnügen und legten damit den Grundstein für eine Tradition, die bis heute nichts an ihrem Glanz und Zauber verloren hat. "Der Wiener Kongress tagt nicht, er tanzt." und "Der Wiener Kongress tanzt, aber bewegt sich nicht." waren damals beliebte spöttische Bemerkungen.
Trotz der Wahrung des Brauchtums haben sich die Bälle im Laufe der Zeit neu erfunden. Von der höfischen Tradition haben sie sich zum klassischen Spektakel entwickelt. Und so gibt es kaum noch einen Ball, der ohne Disco im Nebenraum auskommt. Und weil die Wiener Bälle zwar traditionell, aber nicht veraltet sind, sind etwa ein Drittel der Besucher jünger als 30 Jahre. Das Traditionell soll mehr als Inspiration und nicht als Bürde aufgefasst werden.
Charakteristisch für den Wiener Ball ist das strenge Protokoll, das seit der Kaiserzeit stilprägend ist. Die großen Bälle folgen immer demselben Ritual: Nach dem feierlichen Einzug der Ehrengäste erfolgt die Tanzeröffnung durch das Jungdamen- und Jungherrenkomitee. Anschließend wird traditionell mit dem von Johann Strauß geprägten Kommando "Alles Walzer!" die Tanzfläche für alle freigegeben. Unter das Schwarz-Weiß der einheitlich gekleideten Debütanten mischt sich dann Buntes. Um Mitternacht folgt die Mitternachtsquadrille. Und auch der Ballabschluss ist protokollarisch organisiert.
Für weibliche Emanzipation ist auf einem Ball übrigens kein Platz. Wer zu Walzerklängen im Dreivierteltakt das Tanzbein schwingen will, der muss sich vom Mann führen lassen. Ganz gleich wie unbeholfen dieser sich auf dem Parkett bewegt. Den Takt nicht zu treffen gilt in Wien, wo der Donauwalzer quasi die zweite Nationalhymne ist, als größte Taktlosigkeit. Über den Walzer sagte André Heller einmal, er sei "eine als Fasching verkleidete Melancholie". Ein Tanz also wie gemacht für den Wiener. Auch wenn die katholische Kirche ihn früher wegen zu viel Tuchfühlung zwischen den Geschlechtern gern verboten hätte.
Strenges Protokoll, strenge Kleiderordnung
Wer einen der vielen klassischen Bälle besucht, der hat sich einer zumeist strengen Kleiderordnung zu beugen. Für die Damen ist ein bodenlanges Abendkleid Pflicht, Herren müssen sich in Frack, Smoking oder Uniform zwängen. Ein Ball ist eine der seltenen Gelegenheiten für die ordens- und titelverliebten Österreicher mal wieder ihre Auszeichnungen an die Brust zu heften. Das Mascherl, also die Fliege, darf erst zu sehr fortgeschrittener Stunde gelockert werden. Immerhin garantiert der formelle Kleiderzwang, dass zumindest die männlichen Besucher auch im kältesten Winter nicht frieren.
Nicht zuletzt die teuren Roben machen die Wiener Ballkultur zum wichtigen Wirtschaftsfaktor für die Metropole. Mit durchschnittlich zwischen 100 und 200 Euro sind die Eintrittskarten der geringere Kostenfaktor. Deutlicher zu Buche schlägt die Kleidung. Sowohl Damen als auch Herren müssen jeweils mehrere hundert Euro für angemessene Garderobe berappen. Selbst wer sich seinen Smoking leiht, muss mit rund 200 Euro rechnen. Hinzu kommen beispielsweise Ausgaben für Friseur, Konsumation und Taxi.
In ganz Wien werden mit den Ballveranstaltungen Berechnungen eines Forschungsinstituts zufolge jährlich 120 Millionen Euro umgesetzt. Bei einer halben Million Besucher. Etwa ein Zehntel davon stammt aus dem Ausland. Die teuren Logen werden von Unternehmen gern dazu genutzt um (potentielle) Geschäftspartner zu bezirzen. Zwar werden wenige Geschäfte auf den Bällen selbst besiegelt, aber dafür umso mehr Vertragsabschlüsse hier gefeiert.
Im Jahr 2010 wurde der Wiener Ball in das Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes in Österreich aufgenommen. Nachdem kontrovers darüber diskutiert wurde, dass sich auf der Liste von 17 Wiener Traditionsbällen, die das Kulturerbe repräsentieren sollten, auch der Ball des Wiener Korporationsrings befand, wurde der Wiener Ball wieder von der Liste gestrichen. Der Ball der Burschenschafter war umstritten, weil viele Teilnehmer einen rechtsextremen Hintergrund besitzen. Seit 2013 ist er vom Akademikerball abgelöst. Die UNESCO bezeichnete die Aufnahme als Fehler; eine Wiederaufnahme ohne den umstrittenen Ball fand bisher mangels Bewerbung nicht statt.