Kazimierz
Kazimierz wurde 1335 von König Kasimir dem Großen gegründet und nach seinem polnischen Vornamen benannt. Die Stadt war von Krakau nur durch einen Seitenarm der Weichsel getrennt. Ihre Gründung war von strategischer Bedeutung. Dank seiner Wehranlagen diente Kazimierz Krakau als eine Art Schutzschild im Süden. Außerdem sollte die neue Stadt als Handelspartner für Krakau fungieren.
Polen als Judenparadies
Während Juden in den überwiegenden Teilen Europas diskriminiert wurden, war Polen zu dieser Zeit ungewöhnlich tolerant. Wenngleich es auch damals zu Pogromen kam, war die Zeit für Juden von Frieden und Wohlstand geprägt. Wie zugewandt Kasimir III. den Juden damals war, beweist die Tatsache, dass er von Zeitgenossen auch "König der Juden" genannt wurde.
Das judenfreundliche Klima in Polen sorgte ab dem 14. Jahrhundert für eine Einwanderungswelle von Juden aus ganz Europa. Ein alter Spruch lautete damals: "Polen ist der Bauern Hölle, der Juden Paradies, der Bürger Fegefeuer, der Edelleute Himmel und der Fremden Goldgrube."
Nachdem sich die Juden einige Jahrzehnte später durch neue Gesetze ihrer Existenz bedroht sahen, wanderten die ersten größeren Gruppen von Krakau nach Kazimierz ab. Verstärkt wurde dieser Trend durch die im 15. Jahrhundert aufgekommenen Enteignungen im Zusammenhang mit dem Bau der Universität Krakaus, der zweitältesten Universität Europas nördlich der Alpen.
Als Krakau 1494 von einem Großbrand heimgesucht wurde, erreichten die Repressionen gegen die Juden ihren Höhepunkt. Obwohl viele von ihnen durch das Feuer selbst ihre Wohnungen verloren, bezichtigte man sie der Brandstiftung. König Johann I., der Nachfolger von Kasimir dem Großen, beugte sich dem Druck der Krakauer Bürger und erließ ein Dekret, wonach die jüdische Bevölkerung Krakaus in die selbstständige Stadt Kazimierz übersiedeln musste.
Eins der bedeutendsten Zentren jüdischer Kultur in Europa
Die vertriebenen Juden fanden in Kazimierz eine neue Heimat und schufen hier eins der bedeutendsten Zentren jüdischer Kultur in Europa. Dessen Mittelpunkt befand sich rund um die heutige ulica Szeroka, die damals Hauptstraße im jüdischen Viertel war. In jeder Straße stand mindestens eine Synagoge. Auch außerhalb Polens hatten die hiesigen Talmudhochschulen einen ausgezeichneten Ruf. Wie damals üblich wurde das jüdische Viertel vom christlichen Teil der Stadt durch eine Mauer getrennt.
Ein jähes Ende fand die lange Blütezeit allerdings durch den Einfall der Schweden in Polen 1655. Die schwedische Armee ermordete in Kazimierz große Teile der jüdischen Bevölkerung und zerstörte etwa zwei Drittel der Bausubstanz. Von der Pracht der vergangenen Zeit zeugte nur noch das elegante, aber marode Rathaus inmitten des Marktplatzes. Wer konnte, floh aus der Stadt. Zurück blieben die Armen. Folglich ging der Wiederaufbau nur schleppend voran.
Nach der Annexion Polens durch Österreich im Jahre 1795 wurde Kazimierz wenig später, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in Krakau eingemeindet. Als 1867 allen Juden wieder volle Bürgerrechte und damit auch uneingeschränkte Niederlassungsfreiheit eingeräumt wurde, blieben in Kazimierz wieder nur die Armen zurück. Kazimierz wandelte sich zu einem typischen osteuropäischen Schtetl, das hauptsächlich von mittellosen und orthodoxen Juden bewohnt wurde.
Vor dem Zweiten Weltkrieg war Krakau die zweitgrößte jüdische Gemeinde in Polen. Bis 1938 war sie auf 68.000 Gemeindemitglieder angewachsen. 1941 steckten die deutschen Besatzer alle Juden, die nicht schnell genug geflüchtet sind, in das in Podgórze errichtete Ghetto. Von dort ging es weiter, zum Beispiel ins Konzentrationslager Plaszow oder ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Nur knapp 4.000 der Krakauer Juden überlebten die deutschen Qualen.
"Schindlers Liste" erweckte den Stadtteil zu neuem Leben
Ein nicht unerheblicher Teil davon überlebte dank der Hilfe von Oskare Schindler, der Juden bis zum Schluss in seiner Fabrik beschäftigte. Steven Spielberg hat die Geschichte in seinem Welterfolg "Schindlers Liste*" verfilmt und so einem Weltpublikum das Schicksal der Krakauer Juden nähergebracht. Die Szenen im Ghetto spielen nicht in Podgórze, sondern in den heruntergekommenen Straßen und Hinterhöfen von Kazimierz. Der Platz des Ghettos wurde für die Dreharbeiten auf die ulica Szeroka verlagert und damit direkt ins Herz des alten jüdischen Krakaus.
Weil Kazimierz nach dem Zweiten Weltkrieg von der kommunistischen Regierung links liegen gelassen wurde, verfiel der Stadtteil. Doch der große Erfolg des 1993 erschienen Films sorgte plötzlich dafür, dass Touristen kamen um sich die Orte anzuschauen, an denen grausame Geschichte geschrieben wurde. Erste Restaurants eröffneten, die mit jüdisch-polnischer Küche und Klezmermusik bis heute an die jahrhundertealte Tradition jüdischer Kultur in Krakau erinnern.
Gegenwärtig zählt Krakau gemeinsam mit dem Ghetto in Venedig zu den am besten erhaltenen jüdischen Stadtteilen in Europa. Mehrere Synagogen, darunter die älteste in ganz Polen, und zwei jüdische Friedhöfe, darunter einer, der zu den drei ältesten in Europa zählt, sind erhalten geblieben. Die schmalen Gassen erzeugen noch immer das Flair von einst.
In der Alten Synagoge aus dem 15. Jahrhundert befindet sich ein Museum, das sich mit der Geschichte und Kultur der Juden in Krakau beschäftigt. Das Jüdische Museum Galizien erinnert an die Opfer des Holocaust und zelebriert die jüdische Kultur im polnischen Galizien, wodurch die jüdische Geschichte aus einer neuen Perspektive dargestellt wird.
Kazimierz hat sich zu einem beliebten Szeneviertel gemausert, in dem Künstler und Studenten versuchen die stetig steigenden Mieten zu bezahlen. Neben vielen traditionell gehaltenen Gastronomiebetrieben findet man auch eine große Zahl moderner Bars, Cafés, Clubs, Kneipen und Restaurants. Aufgrund dieser Vielfalt ist Kazimierz das beliebteste Ausgehviertel in Krakau. Zentraler Sammelplatz der Nachtschwärmer ist der Neue Platz.
Nur noch wenig jüdisches Leben
Heute wird Kazimierz vielfach wieder als jüdischer Stadtteil bezeichnet. Dabei umfasst die jüdische Gemeinde heute noch immer nur rund 300 zumeist alte Mitglieder. Auch wenn man davon ausgehen darf, dass wieder deutlich mehr Juden in Kazimierz leben, als die paar hundert gemeldeten, ist vieles Jüdische in Kazimierz heute mehr touristische Kulisse als gelebte Tradition. Lokale mit jüdisch klingendem Namen, koscherem Essen und traditioneller Musik sind zwar authentisch, aber einheimische Juden kaum Gäste.
Dabei kommen jährlich viele tausend Juden nach Kazimierz. Sie sind auf der Suche nach den Spuren ihrer Vorfahren und nehmen gern am jüdischen Kulturfestival teil, einem der größten seiner Art weltweit. Bleibt zu hoffen, dass möglichst bald möglichst viele nicht nur die Heimat ihrer Vorfahren besuchen, sondern sich hier auch wieder niederlassen. So anziehend Kazimierz schon heute ist, so gut würde es dem Stadtteil tun, wenn er nicht mehr nur Freilichtmuseum wäre, sondern das Judentum hier auch wieder gelebt werden würde.
Bei all der sichtbaren und spürbaren jüdischen Geschichte und Kultur in Kazimierz sollte auch das christliche Viertel des Stadtteils nicht vergessen werden. Die ulica Józefa fungiert seitjeher als Verbindung beider Viertel. Die gotische Fronleichnamskirche markiert den Beginn der katholischen Stadt. Sie wurde gleich mit Gründung der Stadt von Kasimir dem Großen gestiftet und ist demnach so alt wie das geschichtsträchtige Kazimierz selbst. Die Katharinenkirche wurde ebenfalls unter König Kasimir III. im gotischen Stil erbaut.
Die Paulinerkirche ist neueren Datums, sie spielt aber eine wichtige nationale Rolle. Zum einen wurde sie an der Stelle errichtet, an der Bischof Stanislaus von Krakau, der Schutzpatron Polens, seinen Märtyrertod starb. Zum anderen finden hier bis heute bedeutende polnische Persönlichkeiten des intellektuellen und kulturellen Lebens ihre letzte Ruhe.