Speicherstadt
Normalerweise war und ist für den Transport von Waren über eine Grenze eine Abgabe fällig, der sogenannte Zoll. Jahrhundertelang waren die Hamburger Kaufleute von dieser Steuer befreit, weil Kaiser Barbarossa ihnen am 7. Mai 1189 mit einem Freibrief das Recht zugestand, Waren innerhalb ihrer Stadtmauer zollfrei umzuschlagen, zu lagern und zu verarbeiten. Ihre Schiffe genossen sogar bis zur Nordsee Zollfreiheit. Ein Umstand, der maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Hamburg eine reiche Hansestadt werden konnte. Zum Dank wird der alljährliche Hafengeburtstag bis heute am siebten Tag des Wonnemonats gefeiert, auch wenn an der Echtheit des Briefes mittlerweile gehörig gezweifelt wird.
Angesichts ihres Privilegs weigerten sich die Hamburger Ende des 19. Jahrhunderts dem Deutschen Zollverein beizutreten. Schließlich einigte sich die stolze Handelsmetropole mit Reichskanzler Otto von Bismarck auf einen Kompromiss: Hamburg unterzeichnete 1881 den Zollanschlussvertrag und durfte dafür einen Freihafen errichten, dessen Bau das Deutsche Reich mit 40 Millionen Reichsmark bezuschusste.
Zwangsumsiedlungen für den Freihafen
Weil die Lager der Kaufläute zuvor in der ganzen Stadt und damit auf zukünftig zollpflichtigem Grund verstreut waren, schoben die tüchtigen Geschäftsleute ein Bauprojekt von heute unvorstellbarem Ausmaße an. Für ihren Freihafen opferten sie einen ganzen Stadtteil. Rund tausend Häuser wurden abgerissen, etwa 20.000 Menschen, vorzugsweise Hafenarbeiter, wurden meist ohne Entschädigung zwangsumgesiedelt.
Für den Bau der auf 1,5 Millionen Eichenpfählen im Wasser ruhenden Speicher zeichnete sich der Oberbauingenieur Franz Andreas Meyer verantwortlich. Die sieben- bis achtstöckigen Backsteinhäuser bestechen vor allem als Ensemble. Die mit Erkern, Giebeln und Zinnen geschmückten Häuser im Stil der Backsteingotik, eignen sich aufgrund ihrer dicken, frostsicheren Wände bis heute ideal zur Lagerung. Der unterste Boden der Gebäude muss allerdings schnell auszuräumen sein, weil er bei einer Sturmflut unter Wasser steht.
Am 29. Oktober 1888 wurde der erste Bauabschnitt der Speicherstadt von Kaiser Friedrich Wilhelm II. eingeweiht. In nur drei Jahren waren 60 Prozent der Stadt fertig. An diesem Montag, der zum Kaisertag erklärt wurde, hatten alle Hamburger frei. Obwohl nicht alle von der neuen Situation begeistert waren, unter anderem weil infolge des Abkommens Alkohol und Kaffee deutlich teurer wurden, säumten die Hanseaten das Elbufer um ihren frisch gekürten Kaiser mit Hang zu pompösen Auftritten zu Gesicht zu bekommen.
An der Brooksbrücke vollzog der Kaiser feierlich die Schlusssteinlegung. Mit einer silbernen Maurerkelle mit Elfenbeingriff nahm er symbolisch etwas Mörtel auf. Anschließend klopfte der Monarch mit einem Polierhammer aus nicht minder hochwertigen Materialien drei Mal auf den Stein und sprach: "Zur Ehre Gottes, zum Besten des Reichs, zu Hamburgs Wohl." Kelle und Hammer sind heute im Speicherstadtmuseum ausgestellt. Und auch der Schlussstein, der vielmehr eine Gedenktafel ist, blieb trotz mehrerer Brückenumbauten erhalten. Er wurde in die Flutschutzmauer auf der Stadtseite der Brooksbrücke eingesetzt.
Weltgrößter zusammenhängender Lagerhauskomplex
Nach Unterbrechungen durch den Ersten Weltkrieg war die Speicherstadt 1927 komplett. Seitdem ist sie der größte und wohl auch schönste zusammenhängende Lagerhauskomplex der Welt. Einschließlich der Fleete, über die innerhalb der Speicherstadt 20 Brücken führen, umfasst das Areal 26 Hektar. Die Lagerhäuser wurden so gebaut, dass sie von der einen Seite Anbindung an die Straße und von der anderen ans Wasser haben. Früher lagerten auf den Böden der Speicher unter anderem Gewürze, Hülsenfrüchte, Kaffee, Kakao, Rum, Tabak und Tee. Die unterschiedlichen Gerüche mischten sich zum Duft des Welthandels. Die Händler reimten: "In Speichern, groß und voller Pracht, wälzt sich der Handel Tag und Nacht."
Während der Luftangriffe im Sommer 1943 haben Bomben 60 Prozent der Gebäude schwer beschädigt. Angesichts des Zerstörungsausmaßes forderte Mancher gleich die ganze Speicherstadt abzureisen. Glücklicherweise baute Architekt Werner Kallmorgen sie in ihrer originalen Form wieder auf. Block für Block in mühevoller Kleinarbeit. Noch heute lassen sie an vielen Gebäuden die Ziegel erkennen, die nachträglich hinzukamen.
Mit Zunahme des Containerhandels verlagerten sich die Umschlagplätze dorthin, wo die großen Containerschiffe genügend Platz haben. Moderne Lagerverwaltungssysteme, die die Erfassung unverzollter Ware an jedem Ort ermöglichen, machten den Freihafenstatus der Speicherstadt entbehrlich. Seit 2004 liegt das gesamte Areal der Speicherstadt außerhalb des Freihafens. 2008 wurde auch der Zollzaun entfernt, der das gesamte Zollgebiet abgrenzte.
Tipp: Märchenflair in den Abendstunden
Mit Beginn der Dämmerung macht sich in der Speicherstadt eine märchenhafte Atmosphäre breit. Jeden Abend werden die Backsteingebäude und Stahlbrücken von 800 Scheinwerfern kunstvoll illuminiert. Ein Fest fürs Auge!
Nachdem zwischenzeitlich die Teppichhändler die Häuser des Backsteinviertels übernahmen, präsentieren hier heute vor allem Modeschöpfer ihre neusten Kollektionen und diskutieren Werbefachleute über die nächste Strategie. Zahlreiche Museen, darunter zum Beispiel das Deutsche Zollmuseum und Spicy's Gewürzmuseum, locken Touristen in das seit 1991 unter Denkmalschutz stehende Viertel. Größte Attraktion ist jedoch das Miniatur Wunderland Hamburg, das jährlich über eine Millionen Besucher anzieht. Seit 2015 ist die Speicherstadt gemeinsam mit dem Kontorhausviertel Weltkulturerbe der UNESCO, das erste der Elbmetropole.
Besonders eindrucksvoll wirkt die imposante Backsteinkulisse, wenn man sie vom Wasser aus erkundet. Im Rahmen der Hafenrundfahrten, die von den Landungsbrücken starten, können Sie in historischen Barkassen gemütlich über die engen Fleete schippern. Dabei erschließen sich Ihnen Architekturdetails, die anderen Besuchern verborgen bleiben.