Sündigste Meile der Welt
Reeperbahn
Die Reeperbahn ist die Lebensader von St. Pauli, der Mittelpunkt des Kiezes. Rund um die sündigste Meile der Welt erstreckt sich das Vergnügungs- und Rotlichtviertel von Hamburg. Während die berühmteste Straße der Stadt tagsüber eher trostlos aussieht, tauchen sie die unzähligen Leuchtreklamen mit Anbruch der Dunkelheit in die verruchte Atmosphäre, die selbst eher schüchterne, seriöse und spießige Zeitgenossen anlockt. Auch für die biedere Hausfrau vom Dorf gehört der Besuch der Reeperbahn mittlerweile zum unverzichtbaren Programmpunkt.
Vom finsteren Ruf vergangener Zeit ist nicht mehr viel geblieben, im Verborgenen sollen jedoch noch immer einige Drogenbosse und Rotlichtgrößen die Strippen ziehen. Dennoch kann sich jeder angstfrei im Kiez bewegen. Die Polizeipräsenz ist hoch, schon allein aufgrund der an der Reeperbahn liegenden Davidwache. Zudem überwachen zahlreiche Kameras das Areal. Nicht zuletzt sorgen auch die Geschäftsbetreiber für Ruhe, schon um ihren Umsatz nicht zu gefährden. Dennoch ist in der Presse hin und wieder von Razzien zu lesen. Das Wochenendverbot von Glasflaschen, Messern und Waffen hat jedenfalls nicht zu einem spürbaren Rückgang der Gewalt geführt.
Fast Food, Glücksspiel, Sex
Entlang der über 900 Meter langen Reeperbahn reihen sich diverse Billighotels, Discotheken, Erotikshops, Kneipen, Schnellrestaurants, Sexkinos, Spielhöllen und Stripclubs aneinander. Die meisten langjährigen Institutionen wie beispielsweise das Café Keese, ein Tanzlokal mit roten Telefonen an jedem Tisch, über die einsame Herzen miteinander Kontakt aufnehmen konnten, sind längst geschlossen. Die Kultkneipe "Zur Ritze" bildet eine rühmliche Ausnahme. Zwar geben sich hier mittlerweile auch die Touristen die Klinke in die Hand, früher hat hier jedoch die eine oder andere Kiezgröße ihr Leben gelassen.
Käufliche Liebe wird vor allem in den Seitenstraßen angeboten. Liebesdamen stehen am Straßenrand, warten in Kontakthöfen oder laden ins Bordell. In der benachbarten Herbertstraße, die nur erwachsene Männer passieren dürfen, sitzen sie in rötlich beleuchteten Schaufenstern. Aber auch auf der Reeperbahn selbst buhlen die meist wortgewaltigen Damen mit ihren umgeschnallten Bauchtaschen um Kundschaft. Nach Sonnenuntergang gerät der Kiezrundgang für nicht-paarungswillige Männer deshalb leicht zum Spießrutenlauf.
Eine ganz ähnliche Aufgabe haben Koberer (vom hanseatischen ankobern für anwerben), die es nur auf und rund um die Reeperbahn gibt. Die Herren im oft fortgeschrittenen Alter versuchen allabendlich Gäste in ihre Nachtclubs zu locken. Das gelingt nur, wenn man spontan und schlagfertig ist und die nötige Menschenkenntnis mitbringt. Die Form der Ansprache ist oft deftig bis obszön, selten jedoch aggressiv. Vielmehr gehören Altherrenwitze und Kalauer zum Repertoire. Nachdem immer mehr klassische Erotiklokale schließen, ist der Beruf des Koberers vom Aussterben bedroht.
Der ungenierte Kontakt zum Rotlichtmilieu hat die Reeperbahn zur Sehenswürdigkeit gemacht. Aufgrund der Nähe zum Hafen waren es früher meist Seeleute aus aller Herren Länder, die den schnellen Sex suchten. Heute gehört der Bauarbeiter genauso zur Klientel wie der Messebesucher und der Student. Einige tausend Prostituierte sind offiziell gemeldet, die Dunkelziffer vermutlich weitaus höher. Ob zarter Blümchensex oder die schmerzhafte Behandlung einer Domina - rund um die Reeperbahn werden alle Wünsche erfüllt. Letzteres zum Beispiel im ältesten SM-Klub Europas, dem Club de Sade.
Einst Schiffstaue, heute Prostitution
Die Etablissements, die heute am bekanntesten sind, wie zum Beispiel das Dollhouse oder auch die Bar der bundesweit bekannten Travestiekünstlerin Olivia Jones, befinden sich in der Großen Freiheit, die von der Reeperbahn aus über den Beatles-Platz erreichbar ist. In der berühmt-berüchtigten Seitenstraße befand sich bis Ende 2013 auch das legendäre Safari. Auf der Bühne von Deutschlands letztem "Erotikkabarett" gab es unter anderem Livesex zu sehen. An die zu Ende gegangene Ära erinnert nur noch die Leuchtreklame mit dem Elfenanten, die die Straße überspannt.
Zur Bekanntheit der Reeperbahn trugen auch Filme wie "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" mit Hans Albers bei. Dem Schauspieler, der auch das gleichnamige Lied gesungen hat, ist der gleichnamige Platz gewidmet, der ebenfalls zum Hamburger Rotlichtareal gehört. Im Schmidt Theater und Schmidts Tivoli wird das Viertel heute in Form von Musicals wie "Die Königs vom Kiez" und natürlich dem Dauerbrenner "Heiße Ecke" charakterisiert und parodiert. Beide Theater liegen am Spielbudenplatz, der sich parallel zur Reeperbahn erstreckt.
Seinen Namen hat die lebhafte Straße von den Reepschlägern, die zur Fertigung der mindestens 300 Meter langen Schiffstaue lange, gerade Bahnen benötigen. Die Reiferbahn, wie die Reeperbahn auf Hochdeutsch heißt, war einer dieser Orte, an denen Taue hergestellt wurden. Sie war aber nicht der einzige. Im ganzen Viertel waren Reepschläger und Seilermacher tätig, wie die parallel zur Reeperbahn verlaufende Seilerstraße deutlich macht. Auf Seilerbahnen jedoch wurden nur geringwertigere Seile produziert, weshalb diese Bahnen auch deutlich kürzer waren.