Zum 250-jährigen Jubiläum
6 Kuriositäten rund um den Wiener Prater
Auf den Tag genau vor 250 Jahren überlies Kaiser Josef II. sein Jagdrevier in Wien dem Volk. Dass sich daraus mal weit mehr als ein Naherholungsgebiet für gestresste Hauptstädte entwickeln würde, hätte wohl selbst der Monarch nicht gedacht. Im Laufe der Zeit ist im Wiener Prater so einiges passiert. Wir haben anlässlich eines Vierteljahrhunderts Geschichte sechs Kuriositäten zusammengetragen.
1. Beginn der bemannten Luftfahrt
Dem deutsche Feuerwerker Johann Georg Stuwer, der mit seinen beliebten Pyrodarbietungen im Prater die Massen anzog und dadurch reich wurde, gelang am 6. Juli 1784 auf seinem Feuerwerksplatz der Aufstieg mit einem Heißluft-Fessel-Ballon. Der Ballon in Gestalt eines liegenden Zylinders stieg an Halteseilen auf eine Höhe von „beyläufig 30 bis 40 Klafter“ (50 bis 75 Meter). Statt in einem Korb saß Struwer gemeinsam mit vier anderen Personen in einem „großen hölzernen Schiff“, das am Ballon befestigt wurde.
Das Spektakel, das als Beginn der bemannten Luftfahrt in Österreich gilt, verfolgten 15.000 Zuschauer. Am Abend wurde dieses Ereignis mit einem allegorischen Feuerwerk gefeiert. Struwer führte fortan diverse Ballaufstiege vor zahlendem Publikum vor. Beim dritten Aufstieg am 2. August 1784 riss das Halteseil, sodass der Ballon bis über die Donau schwebte und erst dort zu Boden sank. Damit unternahm Johann Georg Stuwer unbeabsichtigt die erste Freifahrt eines österreichischen Ballons.
2. Liliputanerstädte
Eins der traurigen Kapitel des Wiener Praters ist die Vorführung von Liliputanern. Ab 1911 gab es im Zirkus Zentral eine Liliputstadt, in der kleinwüchsige Menschen, die schon vor der Praterexistenz eine Attraktion waren, zur Schau gestellt wurden. So waren beispielsweise die Häuser der Stadt auf ihre Körpergröße angepasst, von außen konnte man ihrem Treiben zusehen. Es gab sogar einen Liliputanerheurigen, wo man sich von den Kleinwüchsigen bedienen lassen konnte.
Die Liliputanerstadt war nicht die einzige Attraktion mit Liliputanern im Prater. Sie traten im Cabaret, Varieté und Zirkus auf. Die neben dem Zirkus Zentral gebaute „Glauers Liliputstadt“ warb mit einer Boxkampfparodie, „Girl-Tanz“ und einem Xylophontrio – alles im Kleinformat. In „Grindley’s Liliputstadt“ wurden unter anderem „Entkleidungsszenen in der Luft“ und die „Parade der Marzipansoldaten“ geboten.
Ab 1940 wurde die Präsentation von Liliputanern im Prater verboten. Nun erwartete sie allerdings das noch schlimmere Schicksal im NS-Regime, in dem sich beispielsweise Josef
Mengele, SS-Arzt im Konzentrationslager Auschwitz, erlaubte, sich an sieben kleinwüchsige Geschwister der Familie Ovitz zu vergehen.
3. Erste Geisterbahn der Welt
Im Prater wurde 1933 die erste Geisterbahn der Welt eröffnet. Das „Geisterschloss“ wurde von Friedrich Holzdorfer auf Parzelle 96 errichtet. Von Anfang an war die grusselige Attraktion ein Besuchermagnet. Wie fast alle Attraktionen des Praters wurde auch das „Geisterschloss“ im Zweiten Weltkrieg zerstört. 1948 wurde die Geisterbahn unter demselben Namen nur ein paar Meter neben dem ursprünglichen Standort wiedereröffnet. Bis heute ist sie erfolgreich in Betrieb und hat sich zu einem beliebten Treffpunkt entwickelt. Zum Teil wird hier noch immer „von Hand“ erschreckt.
4. Praterreaktor
Unglaublich aber wahr: Der Prater hat seinen eigenen Atomreaktor! Er liegt am südlichen Rand, direkt an der Stadionbrücke und ist von lauter Kleingärten umgeben. Er dient jedoch nicht der Stromproduktion, sondern der Forschung und Ausbildung.
Die erste Kettenreaktion im Wiener Forschungsreaktor wurde am 7. März 1962 ausgelöst. Seitdem läuft der Praterreaktor, wie er vom Volksmund gern genannt wird, etwa 220 Tage im Jahr in etwa auf der thermischen Leistung eines Mittelklassewagens. 2012 wurde er durch den Tausch des Reaktorkerns und die Lieferung neuer Brennstäbe fit gemacht für die nächsten 20 Jahre. Wenngleich nicht mitten im Prater gelegen, ist die fast innerstädtische Lage des Atomreaktors wohl einmalig auf der Welt.
5. Swingerclub und Prostitution
Die 1965 eröffnete Pratersauna entwickelte sich schon schnell nach ihrer Eröffnung zum Treffpunkt der „Halböffentlichkeit“. Angeblich soll die russische Mafia sie zu ihrem Treff gemacht haben. Ganz sicher aber entwickelte sich die ursprünglich unschuldige Schwitzstätte im Laufe der Zeit zum Swingerclub. Die Pratersauna konnte sich von ihrem schmuddeligen Ruf nicht mehr erholen und musste 2008 schließen. 2009 wurde sie als Diskothek wiedereröffnet, am 30. Januar 2016 aber wieder geschlossen.
Übrigens war der Amüsierbetrieb im Prater schon immer nicht nur züchtig. Fast 250 Jahre lang war er auch Zentrum der Prostitution in Wien, bis der Praterstrich 2013 von den Behörden dichtgemacht wurde.
6. Republik Kugelmugel
Die Republik Kugelmugel ist ein Staat im Staat, direkt an der Prater Hauptallee gelegen. Auf dem kleinen, achteckig umzäunten Stück Land steht ein Kugelhaus mit acht Metern Durchmesser. Der Künstler Edwin Lipburger hat es 1971 ohne Baugenehmigung auf einer Wiese in Katzelsdorf bei Wiener Neustadt aufgestellt. Lipburger ist der Meinung, dass seine „nur vorübergehend stabilisierte Kugel“ ein „positiv konstant gekrümmter, zweidimensionaler Raum und daher kein Begriff im Sinne der Niederösterreichischen Bauordnung“ sei. Die Behörden sahen das freilich anders und wollten die braune Holzkugel abreisen.
Daraufhin erhielt Lipburger in Wien Asyl und konnte sein Kugelhaus im Juni 1982 am Rande des Wurstelpraters aufstellen. Damit sich der Künstler ja keinen Gesetzen unterwerfen muss, reif er flugs die eigenständige Republik Kugelmugel aus. Seither bezeichnet er den Standort seines unbewohnten Hauses im Prater als exterritorial. Sogar einen Grenzübergang hat er hier geschaffen. Schließlich hat Lipburger über 600 Reisepässe der Mikronation ausgestellt. Während man Kugelmugel im Wiener Rathaus als Kunstwerk versteht, scheint Edwin Lipburger es bitternst zu meinen.