„Rocky – Das Musical“
Wenn das Operettenhaus zur Boxarena wird
Rums! Mit einem lauten Knall schlägt die Tür ins Schloss. Der hölzern anmutende Vorhang schwebt empor, Schweinwerfer blenden das Publikum, der Boxring fährt auf die Bühne, die Fäuste fliegen. Der Auftakt von „Rocky – Das Musical*“ gibt einen ersten Vorgeschmack darauf, was die Zuschauer im zweiten Akt erwartet. Bevor das Singspiel aber an Fahrt gewinnt, muss der erste Teil überstanden werden.
Wie schon der gleichnamige Film (1976, drei Oscars, Sylvester Stallone in der Hauptrolle) erzählt das Musical die Geschichte des mittelmäßigen Boxers Rocky Balboa. Der Endzwanziger aus einfachen Verhältnissen führt ein tristes Leben im Armenviertel von Philadelphia. Seit der Kindheit geht er seiner Leidenschaft nach, doch seinen Traum, Profiboxer zu werden, hat Rocky bisher nicht erreicht. Mit Amateurerkämpfen und Gelegenheitsaufträgen als Geldeintreiber für einen zwielichtigen Kredithai hält sich der Junggeselle über Wasser. Sein Umfeld glaubt schon lange nicht mehr an sein Talent, sogar sein Spind in der Boxhalle wird einem Jüngeren zugeteilt.
Doch plötzlich ein Anruf: Apollo Creed, seines Zeichens Weltmeister im Schwergewicht, hat sich Rocky Balboa als Gegner ausgesucht. Weil sich keiner mehr traut gegen den schwarzen Superhelden anzutreten, suchte der sich bewusst einen Underdog. Geködert mit 150.000 US-Dollar Antrittsgage und der Chance seines Lebens sagt Rocky zu.
Dem Musicaldarsteller Drew Sarich gelingt es exzellent den naiven, schwermütigen und tapsigen Rocky zu verkörpern. Kein einfacher Charakter, schließlich hat der Faustheld trotz seines brutalen Sports das Herz am rechten Fleck. Er ist durchaus gefühlvoll, vor allem aber aufrichtig, liebenswürdig und tapfer. Mit Terence Archie ist auch die Rolle des Herausforderers perfekt besetzt. Obwohl beide aus Amerika stammen und dem Deutschen nicht mächtig sind, macht sich dies bei ihrer Sangesleistung kaum bemerkbar. Lediglich der Text des Ensemblestücks, das gleich zu Beginn während der oben geschilderten Auftaktszene gesungen wird, war kaum zu verstehen.
Das schüchterne Mädchen Adrian wird ebenfalls gekonnt von Wietske van Tongeren gespielt. Das Mauerblümchen arbeitet in einem Haustiergeschäft, in dem Rocky regelmäßig Futter für seine beiden Schildkröten kauft. Der erste Akt erzählt vor allem von der sich anbahnenden Liebesbeziehung zwischen Adrian und Rocky. Gut gesungene aber nicht immer eingängige Balladen dominieren. Im zweiten Akt bereitet sich Rocky intensiv auf seinen Kampf vor um im fulminanten Finale gegen Creed zu boxen. Einige fetzige Rocknummern hätten hier sicherlich nicht geschadet.
Egal ob im ersten oder im zweiten Akt, durchweg sehenswert ist das detailverliebte Bühnenbild, das vor Technik strotzt. Ständig ist es etwas in Bewegung, alles scheint dreh- und schwenkbar. Riesige Bildschirme schweben von der Decke, ganze Wohnungen werden auf die Bühne gerollt. Raunen im Publikum, als eine Armada von Rinderhälfte von der Decke schwebt und die Bühne kurzerhand in einen Schlachthof, den Arbeitsplatz von Adrians Bruder, verwandelt. Auch die gewaltige Freitreppe, die schon im Film Symbol für das schweißtreibende Training des ehrgeizigen Rocky war, fährt auf die Bühne und kann sich um die eigene Achse drehen. Unweigerlich stellt man sich die Frage, wo all das hinter der Bühne bloß Platz findet.
Nach der Auftaktszene schwebt der Boxring wie eine Mahnung über der Bühne, auch dort oben stets in Bewegung. Mal fungiert er als Dach eines Apartments, mal als Wand. Zum Weltmeisterkampf schließlich wird er hinabgelassen und findet seinen Platz mitten im TUI Operettenhaus. Zuvor haben die ersten Reihen ihre Plätze verlassen und auf der zur Tribüne umfunktionierte Freitreppe Platz genommen. Auch seitlich vom Boxring stellen sich Zuschauer auf. Über dem Boxring hängt ein Videowürfel. Innerhalb von Sekunden verwandelt sich das Theater in eine Boxarena, bei der natürlich weder Ansager noch Kommentatoren fehlen dürfen. Alles erstrahlt in den Farben der Vereinigten Staaten von Amerika.
Was die Technik kann, zeigt sich bereits während einer Ballade, als Adrian im Regen steht und sogar die Zerstreuung der auf dem Boden prasselnden Regentropfen zu erkennen ist. Während eine ganze Armada von Rockys zu „Eye of The Tiger“ trainiert, sorgt ein wilder Mix aus Videoprojektionen für Szenenwechsel mit fast filmischem Blick. Beim Boxkampf schließlich kommen spektakuläre Zeitlupen- und Zeitraffereffekte zum Einsatz. Nicht nur eine großartige Leistung der Techniker, sondern auch der Schauspieler, die sekundengenau zwischen rasantem und zögerndem Schauspiel wechseln müssen. Überhaupt ist der Kampf nicht nur eine Frage von Koordination, sondern auch von Kondition.
Insgesamt gelingt es der 15 Millionen Euro teuren Eigenproduktion von Stage Entertainment die starken, vorzugsweise intimen Momente des Films auf die Bühne zu bringen ohne sie zu Kitsch verkommen zu lassen. Stark an der Vorlage orientiert wird jeder Besucher die einprägsamen Bilder und zum Teil wörtlich übernommenen Dialoge wiedererkennen. Schade nur, dass die Liedtexte teilweise zu wünschen übrig lassen und sich trotz großer Hymnen wie „Gonna fly now“ kein musicaltypischer Ohrwurm einprägt. Der kann weder von guten Darstellern noch von einem starken Bühnenbild ersetzt werden.
„Rocky – Das Musical“ ist noch bis zum Sommer 2015 im TUI Operettenhaus in Hamburg zu sehen. Eintrittskarten erhalten Sie hier.*