Partytourismus
Berlin versucht’s mit Benimmtipps
Mit der Beliebtheit ist das so eine Sache. Jeder will es werden. Die Vorteile nimmt man gerne mit. Auf die Nachteile aber kann man getrost verzichten. Das ist bei Städten nicht anders als bei Persönlichkeiten. Barcelona und Berlin sind zwei aktuelle Beispiele. In beiden Metropolen wächst der Unmut von Anwohnern. Sie fühlen sich von den Touristenmaßen gestört.
Einer der touristischen Krisenherde in Berlin ist die Warschauer Brücke. Rundherum hat sich eine Partyszene etabliert. Vor allem im Sommer trifft sich hier die Jugend der Welt und feiert ausgelassen. Sie brauchen dafür keine Bars und keinen Club, ihnen genügt die urbane Bühne. Getränke und Musik werden selbst mitgebracht. Schnell kommt man ins Gespräch, trinkt gemeinsam, tanzt zusammen.
Genau dieser exzessive Partytourismus, der an verschiedenen Ecken Berlins zu beobachten ist, ist den Kritikern ein Dorn im Auge. Gegen die gesitteten Besucher ihrer Stadt haben sie nichts.
Die Anwohner bemängeln, dass man aufgrund der Lautstärke nicht mehr bei offenem Fenster schlafen kann. Wenn es nicht das Partyvolk selbst ist, das für Ruhestörungen sorgt, dann sind es ihre Rollkoffer, die zu jeder Tages- und Nachtzeit über das Pflaster rattern. Hinzu kommen die unangenehmen Hinterlassenschaften, unter denen Müll noch das geringste Problem ist. So mancher Hauseingang ist nach einer Partynacht volluriniert und zugekotzt.
Vergraulen will die Stadt Touristen freilich nicht, bringen sie doch gutes Geld mit. Doch so langsam kann man die Beschwerden der Einheimischen nicht mehr ignorieren. VisitBerlin, verantwortlich für das Berliner Tourismusmarketing, versucht es nun mit einer Broschüre. Sie soll Touristen erziehen.
Das Heftchen will versuchen die Gäste der Hauptstadt auf humorvolle Weise für die Anwohnerbedürfnisse zu sensibilisieren. In Berlin sei erlaubt, was nicht verboten ist, so die positive Botschaft. Und weil es zu aufwändig wäre alle 12.498.301 Dinge aufzuzählen, die in Berlin erlaubt sind, gibt es fünf Verhaltenstipps:
- „Verteilen Sie Ihren Müll bitte nicht in der ganzen Stadt. Sie wollen ja auch lieber ein sauberes Berlin besuchen. Und Mülleimer – auch für Zigarettenkippen – gibt es bei uns mehr als genug.“
- „Abends richtig laut sein geht natürlich nicht. Denn irgendwann wollen die BerlinerInnen auch mal schlafen – schließlich müssen die allermeisten am nächsten Tag zur Arbeit. Deshalb die Bitte: nach 22 Uhr Rücksicht auf die Anwohner nehmen und leise sein.“
- „Alkohol darf man überall trinken, wo es gestattet ist. In öffentlichen Verkehrsmitteln darf man zum Beispiel keinen Alkohol trinken. Für Jugendliche gilt: Bier ist ab 16 erlaubt, harter Alkohol erst ab 18.“
- „Diebe sieht man in Berlin nie. Sie sind leider ziemlich geschickt. Passen Sie deshalb bitte gut auf Ihre Wertgegenstände auf und achten Sie besonders auf Ihre Taschen. Und noch ein Hinweis: Hütchenspieler sind grundsätzlich Betrüger – lassen Sie sich also niemals auf ein Spiel ein.“
- „Werden Sie ruhig direkt, aber auf die Berliner Art: klare Ansage machen, aber nie böse meinen und das Herz immer am rechten Fleck haben. Das ist die berühmte ‚Berliner Schnauze“.“
Ob sich die angesprochenen Touristen die Broschüre mit den Benimmtipps bei den Touristeninformationen der Stadt abholen darf bezweifelt werden. Vor allem deshalb, weil sie für das belehrende Papier auch noch 1,50 Euro bezahlen sollen. Ob man die aufgebrachten Berliner mit dieser hilflos wirkenden Aktion beschwichtigen kann?