Essen auf Rädern
Food Trucks sind in aller Munde
Bis vor zwei, drei Jahren assoziierte man mit Street Food in Deutschland noch Currywurst und Döner. Von Vielfalt keine Spur. Und die Straße war damals auch noch kein hipper Speiseort, sondern eher zweckmäßige Verzehrstätte. Schließlich richteten sich Imbisse vor allem Banker und Bauarbeiter, die in ihrer knappen Pause den Hunger stillen wollten.
Verkaufswagen, die direkt am Straßenrand stehen, gehören anders als beispielsweise in New York, auch heute noch nicht zum hiesigen Stadtbild. Das liegt ganz einfach daran, dass der Straßenverkauf in Deutschland verboten ist. Da nützte es auch nichts, dass Food Trucks der neueste Trend in der Gastronomie sind. Die Mühlen der Bürokratie mahlen nun mal langsam.
Revolution der Straßenküche
Doch davon haben sich die kulinarischen Revolutionäre, die ihr Essen aus umgebauten Anhängern, Kleinbussen und Transportern verkaufen, nicht abhalten lassen. Das, was sie aus ihren mobilen Verkaufsständen über die Theke reichen, hat nichts mit trockener Frikadelle und Kartoffelsalat aus dem Eimer zu tun. Stattdessen wird auf kleinstem Raum in Gourmetqualität gekocht. Meisten zumindest.
Rauchiges Barbecue, orientalisch duftendes Curry, knusprige Ramen-Burger, mehrstöckige Sandwiches oder Eis vom grünen Tee – das Angebot der Food Trucks ist so vielfältig, wie es ihre Betreiber sind. Der tätowierte Kerl mit schwarzen Handschuhen, der routiniert die Patties auf dem Grill wendet, steht in der Markhalle Neun neben dem zierlichen Mädchen, das Apple Crumble offeriert. Jeden Donnerstag dreht sich hier in Berlin, genauer gesagt in Kreuzberg, zwischen fünf und zehn alles um die Straßenküche.
Die „Neun“, wie der Berliner sparsam sagt, ist ein hervorragender Ort, um sich mit dem Thema Street Food vertraut zu machen, weil man sie hier in ihrer ganzen Bandbreite erleben kann. Die Idee für den „Street Food Thursday“ ist aus der Not heraus geboren. Denn wer in Kreuzberg seinen Food Truck auf öffentlichem Grund abstellen möchte, der benötigt die Genehmigung von gleich vier Behörden. Fast ein Wunder, dass die deutsche Street-Food-Szene ausgerechnet hier ihren Ursprung hat.
Der Koch folgt dem Hunger
Die Bürokratie, mit der Food Trucks auch in anderen Ländern zu kämpfen haben, sorgt dafür, dass sich die Betreiber meist private Standflächen suchen. So können sie die Zahl der notwendigen Genehmigungen immerhin schon mal halbieren. Beliebt sind natürlich die Plätze, wo viel los ist. Und weil man schließlich mobil ist und das Wechseln der Standplätze zum Wesen der Food Trucks gehört, steht man in der großen Pause idealerweise vor der Schule, in der Mittagspause im belebten Industriegebiet und am Abend vor dem Club.
Dass Kantinen über Gästeschwund klagen, wenn ein Food Truck vor der Tür steht, hat vor allem mit der überdurchschnittlichen Qualität zu tun, die man hier gereicht bekommt. Was im Truck zubereitet wird ist frisch und gesund, oft bio und ohne Geschmacksverstärker. Zudem exotisch, spannend und immer öfter vegetarisch oder vegan. Street Food ist häufig Slow Food.
Bis man sein Essen hat, dauert es länger als bei McDonald’s, geht aber deutlich schneller als im klassischen Restaurant. Und bei den Preisen, die heute für ein McMenü aufgerufen werden, sind die Straßenverkäufer kaum teurer.
Warum das Essen gerade bei Food Trucks so hochwertig und schmackhaft ist? Weil ihre anspruchsvollen Betreiber meist Idealisten sind. Junge, gut ausgebildete Menschen, die das machen, was ihnen Spaß macht und dafür gern auch mal die sichere Stelle mit hohem Einkommen kündigen. Sie arbeiten täglich weit mehr als acht Stunden, verdienen weit weniger als früher, aber haben viel mehr Spaß am Leben als vorher. Statt günstiges Fleisch aus Massentierhaltung kaufen sie Rind mit Gütesiegel. In jedes Gericht stecken sie so viel Liebe, als ob es ihr Meisterstück wäre. Ihr Lohn ist weniger das Geld in der Kasse, als vielmehr das glückliche Lächeln im Gesicht ihrer Kunden.
Der Traum vom eigenen Food Truck
„Street Food verhält sich zu herkömmlichen Restaurants wie Foodblogs zum traditionellen Verlagswesen: Die Eintrittsschwelle ist gering, der Beteiligungsgrad hoch, die Aktualität immens.“ schrieb Ursula Heinzelmann in der Frankfurt Allgemeinen Sonntagszeitung treffend. Viele Foodies, deren Traum einmal ein eigenes Restaurant war, haben sich umorientiert. Für ein Restaurant müssten sie mehrere hunderttausend Euro Kapital mitbringen. Für ein Food Truck reichen ein paar zehntausend. Das bekommt man irgendwie zusammen. Und fast noch wichtiger: Es gibt keine laufenden Kosten.
Der Imbiss auf Rädern ist keine Neuerfindung, weder als deutsches noch als urbanes Phänomen. Schon vor 700 Jahren wurde in Nürnberg das Rostbratwürstchen ins Brötchen gelegt und an Passanten verkauft.
Bereits in den 1860er-Jahren gehörten mobile Küchen in Amerika zum Way of Life. Der Chuckwagon versorgte die Cowboys im 19. Jahrhundert bei ihrem Ritt durch die endlose Prärie des Westens mit Bohnen und Trockenfleisch, Kaffee und Keksen. Später, in den Großstädten, tingelten findige Geschäftemacher mit ihren Roach Coaches von Baustelle zu Baustelle. Heute ist Manhattan ohne Brezel- und Hotdog-Stände kaum vorstellbar. Genauso wenig wie Kalifornien ohne Burrito- und Tamale-Trucks und die Südstaaten ohne Barbecue-Trailer.
Dass sich die Food Trucks in den USA so schnell vermehrten, liegt nicht nur an der Lust des guten, einfachen Lebens und am Sinn für Nostalgie, sondern auch an der Wirtschaftsrezession. Für viele Amerikaner war der rollende Imbiss nicht der langehegte Wunsch, wie vielleicht derzeit im wirtschaftlich gut aufgestellten Deutschland, sondern ein pragmatischer Weg aus der Arbeitslosigkeit. Die Zahl der Food Trucks konnte zudem erst so sehr steigen, weil zeitgleich die Nachfrage nach günstigem Lunch und Dinner stieg, was natürlich ebenfalls der Wirtschaftskriese geschuldet war.
Ein Land, in dem man in seinem Wohnmobil auch heute noch dort übernachten kann, wo man will, scheint gemacht wie für Food Trucks. Zumal Mobilität hier zum Freiheitsbegriff wie nirgendwo sonst auf der Welt gehört. Die moderne Bewegung der mobilen Imbisse geht laut dem Food-Truck-Experten John T. Edge auf die mexikanischen Einwanderer zurück.
Von Asien über Amerika bis nach Europa
In den Staaten sind übrigens weder Chicago noch Los Angeles die Hotspots des Revivals. Portland wurde die Stadt der Food Trucks, noch bevor jemand hinschaute. Ebenso wie Austin. In Madison (Wisconsin), leistet man sich mittlerweile sogar einen Kurator für Straßenessen. In Chicago wurden bis vor kurzem lediglich fünf Lizenzen vergeben. In Los Angeles müssen Food Trucks so platziert werden, dass sie höchstens 200 Meter von einem Geschäft mit Toilette entfernt sind.
Global betrachtete sind die Staaten natürlich nur eine kleine Nummer in Sachen Street Food. Straßenküchen gehören in ganz Asien zur Selbstverständlichkeit. Wenngleich sich auch dort die Straßenkultur verändert. Die Stadt Fukuoka im Süden Japans beispielsweise ist berühmt für ihre Yatai. Die Imbissstände gehen auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zurück. Auch hier waren sie für viele japanische Heimkehrer eine der wenigen Möglichkeiten in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine Existenz zu gründen. Heute sind die historischen Stände und damit auch ihre spontan zwischenmenschliche Atmosphäre von den Behörden bedroht, die den öffentlichen Raum lieber lukrativer nutzen würden.
Singapur hat seine Pläne bereits in den 1980er-Jahren stringent durchgesetzt und die Straßenköche in staatlich geführte, natürlich klimatisierte Food Courts zwangsumgesiedelt. Ausgerechnet hier fand 2013 der erste World Street Food Congress statt.
Food Markets als neue Attraktion
Dabei herrscht gerade in Singapur ein perfektes Klima für Street Food. In gemäßigten und warmen Regionen gibt es naturgemäß mehr Straßenleben. Weiter nördlich entfliehen die Passanten lieber der Kälte und suchen ein warmes Restaurant auf. Das Street Food auch hierzulande in aller Munde ist, liegt aber nicht nur am Klimawandel, der für wärmere Sommer und kältere Winter sorgt. Vielmehr spielt die menschliche Neugier und die Sehnsucht nach Gesellschaft eine Rolle.
Doch so wie Straßenköche der Bürokratie trotzen, trotzen sie auch der Kälte. Bereits die Römer hielten in den besetzten germanischen Provinzen Märkte möglichst in eigens dafür errichteten Hallen ab. Ganz nach ihrem Vorbild schufen Städte mit klimatischen Hürden Markhallen. So beispielsweise Helsinki mit der Vanha Kauppahalli. Dass ein Dach über dem Kopf ganz praktisch ist wissen aber auch sonnenverwöhnte Metropolen. Und so kauft man in Barcelona in der Mercat de la Boqueria ein.
In Deutschland, wo man Food Trucks am häufigsten auf organisierten Märkten antrifft, geht man mit den Jahreszeiten. Im Sommer werden sie unter freiem Himmel veranstaltet, im Winter sucht man Unterschlupf. Die Ansammlungen von Food Trucks haben jedenfalls den Vorteil, dass man sich hervorragend durch die Küchen dieser Welt futtern kann. Und dabei muss man sich trotz vergleichbarer Qualität nicht den Zwängen hingeben, die noch immer in der gehobenen Gastronomie herrschen. Von der monetären und zeitlichen Ersparnis ganz zu schweigen. Kein Wunder also, dass Food Markets, die sich aus Food Trucks zusammensetzen, die neuen Attraktionen in Europas Großstädten sind.