ESC-Destination Malmö
Von der grauen Industriestadt zur grünen Kulturmetropole
Heute Abend beginnt mit dem ersten Halbfinale der Eurovision Song Contest (ESC) 2013. Nachdem im vergangenen Jahr die Sängerin Loreen mit dem Lied „Euphoria“ gewann, wird Schweden in diesem Jahr die Ehre des Gastgebers zuteil. Als Austragungsorte bewarben sich Malmö und Stockholm, auch Göteborg zeigte Interesse. Letztlich erhielt das noch immer im Schatten seiner Rivalen stehende Malmö den chancenvollen aber auch herausfordernden Zuschlag.
Bereits 1992 war die ganz im Süden Schwedens gelegene Destination Heimat für den ESC. Überrascht und überfordert von seiner damaligen Gastgeberrolle ging der 37. Eurovision Song Contest im Issstadion (dt. Eisstadion) als eher trostlose Veranstaltung in die Geschichte des Musikwettbewerbs ein. Bemitleidenswert wie die Stadt selbst.
Damals war Malmö noch das Problemkind des Landes, gekennzeichnet von der bevorstehenden Deindustrialisierung, die ihr im Verlauf der 1990er-Jahre vor allem Arbeitslosigkeit, Integrationsprobleme und Kriminalität bescherte. Doch Malmö fand sich nicht ab mit seiner Rolle als sozialer Brennpunkt und vollzog in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen bemerkenswerten Wandel. Aus der grauen Industriestadt wurde eine grüne Kulturmetropole.
Die im Jahr 2000 eröffnete Öresundbrücke hat einen wichtigen Beitrag zu diesem Wandel geleistet. Die weltweit längste Schrägseilbrücke, auf der sowohl Kraftwagen als auch Züge fahren, verbindet Malmö mit der dänische Hauptstadt Kopenhagen und damit Skandinavien mit dem Rest Europas, der während der Eiszeit vor rund 8.000 Jahren durch ein Meer von seinem nördlichen Teil getrennt wurde. Noch bis 1658 gehörte Malmö zu Dänemark, war damals die zweitgrößte Stadt des Landes. Heute braucht man dank der Brücke nur noch 30 Minuten, um von der einen in die andere Stadt zu gelangen. Der Kopenhagener Flughafen ist von Malmö mit dem Zug in der Hälfte der Zeit zu erreichen und deshalb auch das Ein- und Ausfalltor für viele nach Malmö reisende ESC-Fans.
Wer die Provinzhauptstadt ansteuert, erblickt bereits aus der Ferne den Turning Torso. Der 190 Meter hohe Wolkenkratzer, der sich mehrmals um die eigene Achse dreht, ragt hinter dem schicken Stadtteil Västra Hamnen (dt. Westhafen) auf. Sowohl das 54-stöckige Hochhaus als auch das angesagte Wohnviertel bieten einen modernen Kontrast zum ansonsten eher traditionell geprägten Stadtbild. In Gamla Staden, der Altstadt Malmös, verläuft das Leben beschaulich. Die Cafés am von Häusern aus dem 16. bis 18. Jahrhundert umgebenen Lilla Torg (dt. Kleiner Markt) laden zum Verweilen ein. Auf dem Stortorget nebenan erinnert das Reiterstandbild von Karl X. Gustav an die Eroberung Malmös durch die Schweden im 17. Jahrhundert. Die Statue ist dieser Tage von großen, bunten Schmetterlingen geschmückt, dem Symbol des 58. Eurovision Song Contests. Eine Uhr auf dem Platz zählt die Stunden bis zum großen Finale am Samstagabend. Nur wenige Schritte weiter erhebt sich mit der St. Petri Kyrka eines der ältesten Gebäude der Stadt.
Heute ist fast die Hälfte der ziemlich genau 300.000 Einwohner von Malmö unter 35 Jahre alt. Die 1998 gegründete Universität machte die Stadt zum Hochschulzentrum Südschwedens. Junge Kreative eroberten die einstige Arbeiterhochburg und mischten sich unter die 175 Nationalitäten, die hier leben. Auf kaum eine andere schwedische Stadt würde das diesjährige ESC-Motto „We are one“ so gut passen wie auf das multikulturelle Malmö.
Während sich die Bevölkerung bunt zeigt, präsentiert sich die Stadt grün. Nachdem die Industrie Malmö verlassen hat, pflegt die Stadt ihr umweltbewusstes Profil. Stolz weist die Stadtverwaltung auf 300 Grünanlagen hin. Darunter befindet sich mit dem 1891 gegründeten Folkets Park auch der älteste Vergnügungspark Schwedens. Einen Namen machte sich Malmö auch als Fahrradhauptstadt Schwedens. Schätzungen zufolge werden auf dem vorbildlichen Radwegenetz täglich 100.000 Fahrradfahrten unternommen. In den nächsten sechs Jahren sollen 400 Millionen schwedische Kronen (47 Millionen Euro) in den weiteren Ausbau von Radwegen und Stellplätzen investiert werden. Für Touristen stehen Leihräder zur Verfügung.
Ganz im Sinne des hohen Umweltanspruchs werden auch die ESC-Anhänger gebeten, die Malmö Arena als Veranstaltungsort nicht mit dem Auto sondern mit dem Zug, besser noch mit dem Fahrrad aufzusuchen. Immerhin bietet die Arena im Stadtteil Hyllievång einen eigenen Bahnhof. Rund um die 2008 in Betriebe genommene Halle herrscht noch triste Einöde. Hier sollen 9.000 Büros und 9.000 Wohnungen entstehen.
Zwar findet der Eurovision Song Contest auch in Malmö statt, weil in den großen Veranstaltungshallen von Göteborg und Stockholm zur gleichen Zeit bereits langgeplante Sportereignisse wie die Eishockey-Weltmeisterschaft der Herren stattfinden, doch hat man sich mit der verhältnismäßig kleinen Halle auch gegen den Trend immer größerer und teurerer ESC-Shows entschieden. Der Stopp der Gigantonomie scheint vor allem unter dem Hintergrund berechtigt, dass sich einige Länder wie zum Beispiel die alte Grand-Prix-Nation Portugal die Teilnahme schlicht nicht mehr leisten können. Stadt und Region pumpen 25 Millionen schwedische Kronen (drei Millionen Euro) in den Musikwettbewerb. Berücksichtigt man alle zum Eurovision Song Contest 2012 fertiggestellten Bauprojekte in Baku, hatte Aserbaidschan letztes Jahr Gesamtkosten von mehr als einer halben Milliarde Euro.
Auch wenn der diesjährige Veranstaltungsort „nur“ 15.500 Zuschauer fasst, muss kein nach Malmö gereister Musikliebhaber auf das Spektakel verzichten. An mehreren Plätzen in der Stadt werden die Shows auf Großbildleinwänden übertragen. So befindet sich auf dem Gustav-Adolfs-Platz im Zentrum der Stadt das „Eurovision Village“. Auch im Folkets Park werden die Halbfinale und das Finale gezeigt. Vor und nach den Übertragungen gibt es auf den Bühnen ein Rahmenprogramm, unter anderem mit Auftritten von Teilnehmern vergangener Eurovision Song Contests.
Kunstliebhaber sollten nach dem musikalischen Wettstreit noch ein paar Tage in Malmö verweilen und sich zum Malmöhus begeben. Das Renaissanceschloss beherbergt mit dem Haus der Technik und der Seefahrt, dem Malmöer Kunstmuseum, dem Naturkundemuseum und dem Stadtmuseum einige der größten Ausstellungshäuser der Stadt. Sehr empfehlenswert sind die Malmöer Kunsthalle, bekannt ist für ihren spektakulären Einsatz von Licht und Raum, sowie das Moderna Museet mit seinen zeitgenössischen Kunstwerke, untergebracht in einem stillgelegten Elektrizitätswerk.