Buchrezension

„Where the fuck is the Führer?“

publiziert am 22.10.2015 in Berlin, Rezensionen | kein Kommentar

Fremdenführer gehören zum Stadtbild von Berlin wie das Brandenburger Tor und die Siegessäule. In keiner deutschen Metropole sind mehr Stadtführer unterwegs als in unserer angesagten Hauptstadt. Einer von ihnen war Christian Seltmann. Die Passion des Wahlberliners ist eigentlich das Schreiben. Weil die Karriere als Schriftsteller aber nicht so richtig in Gang kommen wollte, musste ein alternativer Broterwerb her.

Als studierter Historiker hatte er leichtes Spiel beim Vorstellungsgespräch. Er bekam die Aufgabe die deutschsprachigen Führungen beim wohl größten Anbieter fremdsprachiger Touren in Berlin zu übernehmen. Seltmann dürfte mit über 40 Jahren der älteste Mitarbeiter unter den ganzen multikulturellen Youngstern gewesen sein. Und dank seiner akademischen Ausbildung wahrscheinlich auch der mit dem fundiertesten Wissen. Dass es darauf als Guide aber eher weniger ankommt, wird beim Lesen seines Buches schnell klar.

Ein Berufsbericht voller Ironie und Sarkasmus

In „Where the fuck is the Führer?*“ beschreibt Christian Seltmann die Erlebnisse eines Cityguides. Und die sind vielfältig, nicht zuletzt weil sein Arbeitgeber vor allem Führungen mit dem Fahrrad und Segway anbietet. Wie es sich für einen Schriftsteller gehört, verfügt der Autor über eine ausgeprägte Beobachtungsgabe, die für das Buch von besonderer Bedeutung ist. Warum aber bei jedem deutschen Kunden neuerlich auf dem sündhaft teuren Outdoor-Outfit à la Jack Wolfskin rumgeritten werden muss bleibt fraglich.

Humorvoll charakterisiert Seltmann die verschiedenen Kundentypen, die er im Laufe seiner Tätigkeit kennengelernt hat. Kurz bevor er in seinen spitzen Beschreibungen den schmalen Grad der leichten Überheblichkeit, die in seinen Worten stets mitschwingt, zu verlassen droht, stürzt er sich sympathischerweise in die eitellose Selbstironie.

Er erklärt, wie man aus Interessenten, die sich in den nächsten Tagen höchstens mal ein Fahrrad borgen wollten, mit geschickter Handlung und Sprache im Handumdrehen Teilnehmer einer anstrengenden und teuren Ganztagestour quer durch Berlin macht. Weiterhin erfährt der Leser, dass zur Erziehung der Tourteilnehmer weniger der Inhalt der Sätze, als vielmehr ihre Betonung von Bedeutung ist. Die Ausführungen darüber, wie man besserwisserische Oberstudienräten in die Schranken weist, lassen sich gleich beim nächsten Klassenausflug testen.

Wo Hitler verbrannt wurde

Viele Buchuntertitel sind überflüssig, bei diesem Werk ist er dringend nötig („Als Touri-Guide in Berlin“). Schließlich lässt der Haupttitel viel Interpretationsspielraum. Seine Doppeldeutigkeit trifft jedoch wie die Faust aufs Auge. Was Kunden, die eine Stadtführung buchen, nämlich wollen, sind keine Daten, Fakten und Zahlen, sondern Hitler, Nazis und Terroristen. Vor allem, wenn sie Ausländer sind.

Diese Erwartungen muss man als guter Guide erfüllen, schließlich ist man in Wirklichkeit nichts weiter als ein Entertainer. Wer unterhaltsam näherbringt, was der Kunde hören will, der kann den größten Murks von sich geben. Hauptsache die Amis können sich vorm grausamsten Diktator aller Zeiten gruseln. Und so erfährt man in dem Buch beispielsweise, wo genau Adolf Hitlers Leiche verbrannt wurde. Aus diesem Kapitel stammt übrigens auch der lustigste Satz des ganzen Buches: „Als die Touris vom Schotter des ominösen Parkplatzes ein Foto geschossen haben, […]“.

Seltmann hat in „Where the fuck is the Führer?*“ einen stets locker Schreibstil gewählt, der fast schon flapsig daherkommt. Mit kurzweiliger Leichtigkeit erfährt man, welche deutschsprachigen Stämme das meiste Trinkgeld spendieren (Nord-Süd-Gefälle), wie man als Guide Demokratie innerhalb der diktatorisch geführten Gruppe heuchelt und was Frauen- von Männergruppen unterscheidet. Bei all dem, was Seltmann schreibt, ist immer ein Augenzwinkern dabei. Der Führer ist der rote Faden.

Anstrengend und doch so schön

Ausführlich beschreibt er auch die hässlichen Seiten von Berlin. Hier und da lässt er einen Geheimtipp einfließen. Kurz bevor man Mitleid mit dem stets genervten, schikanierten und schlecht bezahlten Stadtführer bekommt, bläst der Autor im letzten Kapitel zu einer Liebeserklärung für den Beruf des Fremdenführers. Denn es gibt nicht nur die anstrengenden, sondern auch viele liebenswürdige Touristen. Ein versöhnlicher Appell für einen Beruf, bei dem der Weg das Ziel ist.

Wer Christian Seltmanns Lektüre gelesen hat, der wird Stadtführer künftig mit anderen Augen sehen. Es ist ein Buch, das Berliner und Touristen gleichermaßen gelesen haben sollten. Wichtigste Erkenntnis nach rund 250 Seiten: Berlin geht nicht ohne Führer!

Where the fuck is the Führer? – Als Touri-Guide in Berlin*
von Christian Seltmann

Ullstein Taschenbuch, Berlin
ISBN: 978-3-548-37581-6
ca. 255 Seiten, 9,99 EUR (versandkostenfrei bestellen*)

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