Buchrezension

„Viva Warszawa“ von Steffen Möller

publiziert am 19.04.2015 in Rezensionen, Warschau | kein Kommentar

Keine zwei Stunden dauert es, um nach Warschau zu fliegen. Dennoch ist es Europas meistunterschätzte Hauptstadt. Jahrzehnte lang wagte sich kaum ein Tourist über die Grenze, geschweige denn in die östlich gelegene Millionenstadt, Polens einzige. Vorwerfen können uns unsere polnischen Nachbarn das Desinteresse nicht wirklich. Rät doch bis heute noch ein großer Teil der polnischen Bevölkerung von Reisen in die ungeliebte Hauptstadt ab. Stattdessen raten Polen voller Überzeugung zu Krakau, Polens heimlicher Hauptstadt.

„Ich kenne kein anderes Land, dessen Bewohner so wenig über die eigene Hauptstadt wissen, aber so munter über sie lästern.“, schreibt Steffen Möller in seinem neuen Buch „Viva Warszawa*„. Obwohl aus Deutschland stammend, muss es Möller wissen. Als er während seines Studiums der Philosophie und Theologie in Berlin – aufgeschreckt von einem Zettel am Schwarzen Bretter der Universität – für einige Wochen für einen Sprachkurs nach Krakau ging, wusste er über das nur einen Steinwurf entfernte Nachbarland nichts. Vielleicht war diese Unvoreingenommenheit, die ihn überhaupt erst nach Polen brachte, der Grundstein für eine große Liebe. Die Liebe zu Land und Leuten.

Deutscher Liebling in Polen

Nachdem Möller sein Studium beendete, zog er 1994 dauerhaft nach Polen. Er war Deutschlehrer an einem Warschauer Gymnasium, später Dozent für Deutsch an der Universität Warschau. Bis heute spricht er für Abiturprüfungen die deutschen Höraufgaben ein. Zum gegenwärtig bekanntesten und zugleich beliebtesten Deutschen in Polen machte ihn allerdings erst seine TV-Karriere. Von 2002 bis 2007 spielte er in der beliebten Fernsehserie „M jak miłość“ („L wie Liebe“) einen deutschen Kartoffelbauern namens Stefan Müller. Außerdem moderierte er unter anderem die polnische Version von „Wetten, dass..?“.

Die Polen verliebten sich im Möller und Möller verliebte sich in die Polen. Das mag nicht nur an seiner aufgeschlossenen und interessierten Art liegen, sondern auch daran, dass er die polnische Sprache perfekt beherrscht, zumindest so perfekt es ein Ausländer eben kann. Und Polnisch gehört für Deutsche sicherlich zu den schwierigsten Sprachen, die man erlenen kann. Ein einziger Zungenbrecher, wenn auch ein schöner. Wer sich dieser Aufgabe stellt und sie dann auch noch mit Bravour meistert, dem fliegen zwangsläufig die polnischen Herzen zu. Dass es dann aber ausgerechnet ein Deutscher ist, der es in Polen zu so viel Prominenz gebracht hat, ist in Angebracht der Geschichte dann doch ein kleines, versöhnliches Wunder.

Natürlich musste auch der unbedarfte Auswanderer Möller bald feststellen, dass in anderen Ländern andere Sitten herrschen. Dass in Europa zwischen Deutschland und Polen die Grenze zwischen West und Ost verläuft, macht sich in der Kultur deutlich bemerkbar. Die Eigenarten und Unterschiede sind so verblüffend und vielfältig, dass Möller daraus schon drei Bücher gemacht hat. Nach den bereits sehr lesenswerten Werken „Viva Polonia*“ und „Expedition zu den Polen*“ trägt das nun erschienene „Viva Warszawa*“ den Untertitel „Polen für Fortgeschrittene“. Der freilich sollte niemanden, der Möllers Vorgängerbücher nicht kennt, davon abhalten, sich seinem neusten Werk zu widmen.

Viva Warszawa*“ ist all jenen ans Herz zu legen, die mehr über unsere polnischen Nachbarn, aber vor allem auch über Warschau erfahren wollen. Neben der Lektüre eines Reiseführers für die harten Fakten ist dieses Buch die perfekte Vorbereitung für den Besuch einer Stadt, in der man anders als in Krakau, nicht überall der abertausendste Besucher ist. Weil Warschau von allen deutschen Nachbarstädten die unbekannteste ist, gibt es für uns hier viel zu entdecken. Allein das sollte Grund genug für eine Reise sein.

Warschau ist interessant und sehenswert, aber dennoch hässlich

Warschau ist interessant und sehenswert, eine hässliche Stadt bleibt sie dennoch. Das muss auch Steffen Möller zugeben, der die Hauptstadt dem wunderschönen Krakau vorzieht, das im einfach zu eng ist. Ähnlich wie zwischen Düsseldorf und Köln herrscht zwischen beiden Metropolen eine jahrhundertealte Rivalität. Nur, dass sie hier bitterernst ist. Krakau symbolisiert die goldene Vergangenheit Polens, Warschau die schwierige aber hoffnungsvolle Neuzeit.

Ob der in Warschau alles dominierende Kulturpalast nun wirklich der schönste Wolkenkratzer der Welt ist, wie der Autor es mit dem Zusatz „ohne jede Diskussion“ felsenfest behauptet, lassen wir mal undiskutiert. Dass sich die Entdeckung der Hauptstadt und auch das Kennenlernen ihrer Menschen jedoch mehr als lohnen, glaubt man ihm sofort.

Möller beherrscht einen vollkommen unprätentiösen, wunderbar zu lesenden Schreibstil und die Gabe, das perfekte Verhältnis zwischen Information und Unterhaltung zu finden. Er weiß scheinbar genau, wie weit er ausschweifen kann, damit der Leser den Exkurs noch als Bereicherung empfindet, welche persönliche Geschichte für ein Lächeln, statt für gähnenden Langeweile sorgt. Man erfährt in „Viva Warszawa*“ Dinge, von denen man nicht gedacht hätte, dass man sie in diesem Buch erfährt. Und doch ist man dankbar dafür, dass man sie erfahren hat.

Wie sehr sich Steffen Möller mit dem Land, über das er schreibt, in allen den Jahren auseinandergesetzt hat, merkt man zum Beispiel in den diversen Zitaten bedeutender Autoren, die er zur Verdeutlichung diverser Sachverhalte anführt. An den Film- und Literaturtipps, die er subtil zum Beispiel zur Gesichte von Warschau einfließen lässt. So wird auch Möllers Liebe zur Kunst und Kultur, insbesondere zur klassischen Musik, schnell deutlich.

Wie es sich für so ein Buch gehört, fühlt sich der Leser nach seiner Lektüre gut gerüstet für eine Stadt, die zwar geografisch nicht fern liegt, kulturell aber doch den ein oder anderen Fallstrick bietet. Die Tipps, die Möller selbst als Geheimtipps bezeichnet, scheinen weniger wertvoll als die vielen kleinen im Text verborgenen Sehenswürdigkeiten, die nicht als solche tituliert werden. Wer jedenfalls tatsächlich die Absicht hat, in absehbarer Zeit nach Warschau zu fahren, der sollte Papier und Stift bereithalten.

Viva Warszawa – Polen für Fortgeschrittene*
von Steffen Möller

Malik, München
ISBN: 978-3-89029-459-9
ca. 300 Seiten, 16,99 EUR (versandkostenfrei bestellen*)

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