Buchrezension

„Bangkok Noir“

publiziert am 22.02.2016 in Bangkok, Rezensionen | kein Kommentar

Schon die Nachricht von Roger Willemsens Erkrankung war ein Schock, die des Todes vor zwei Wochen ein noch viel größerer. Hätte doch niemand geglaubt, dass dieser vor Lebensenergie und Lebenslust strotzende Mann sich jemals dem banalen Ende einer grausamen, oft unheilbaren und zudem viel zu verbreiteten Krankheit hätte hingeben müssen. Gewartet haben wir darauf, bis er das Arschloch namens Krebs besiegt und gewohnt eloquent davon berichtet, was ihn dieses Schicksaal gelehrt hat und was es uns lehren sollte. Vergeblich. Nur ein halbes Jahr nach Bekanntwerden seiner Erkrankung in der Öffentlichkeit hat der Krebs uns einen der größten Intellektuellen unserer Zeit genommen. Heute beigesetzt auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg.

Roger Willemsen war ein Tausendsassa. Vor allem aber war er Publizist und Reisender. „Ein großer Junge, der die Welt entdecken wollte“, wie die von ihm so verschmähte „Bild“ dann doch treffend und fast um Entschuldigung bittend titelte. Willemsen ist dorthin gereist, wo es gefährlich oder zumindest anders ist. Er war beispielsweise oft in Afghanistan. Nicht an gut bewachten Orten, an die sich Til Schweiger traute, sondern dort, wo es gefährlich war. Zum Beispiel direkt bei den Taliban. Und auch wenn Willemsen nicht in Kriegsgebiete reiste, dann reizte ihn das Ungewöhnliche.

Neugieriger Nachtschwärmer zwischen Elefanten und Ladyboys

So wie für sein Buch „Bangkok Noir*„. Insgesamt etwa vier Monate lang lebte er dafür in der thailändischen Hauptstadt. Jeden Tag um 18 Uhr verließ er sein Apartment und kehrte erst im Morgengrauen zurück. An seiner Seite der Fotograf Ralf Tooten, der der Stadt bereits verfallen ist und hier seit einigen Jahren lebt. Gemeinsam besuchten die beiden nicht nur die Karaokebars und den Rotlichtbezirk, sondern vor allem die Plätze, an denen sich das Bangkoker Nachtleben verdichtet: Armenviertel am Stadtrand, Kickboxstudios in dunklen Kellern, sinnliche Märkte, die Schlafplätze der Elefanten, mystische Wahrsager und vielerlei mehr. Sogar operieren ließ sich Willemsen in Bangkok, natürlich nachts. Im größten Krankenhaus der Stadt, dessen Gänge nicht nach Desinfektionsmittel, sondern nach Jasmin und Lotus riechen.

Nachts, wenn sich die Individuen zeigen, die sich bei Helligkeit verstecken, und wenn sich die Seelen öffnen, die sonst fest verschlossen sind, umweht jede Stadt eine besondere Aura. Selbst Castrop-Brauxel und Oer-Erkenschwick. Doch nirgendwo ist die Vielfalt dessen, was man im Dunkeln erleben und unternehmen kann, größer als in Bangkok, so Roger Willemsen. Deshalb begab er sich ausgerechnet hier auf die Suche nach den Orten, an denen die Großstadt ihr Gesicht verändert. Auf der Suche nach den Stätten des Bedrohlichen, Heimlichen, Intimen und Skurrilen.

Die Thaimädchen, die wir Westler sofort im Kopf haben, wenn von Thailand die Sprache ist, waren es nicht, die Willemsen begehrte. Diese kleinen, zierlichen, fast zerbrechlichen Frauen konnte er im Bereich der Lust nicht erst nehmen, weil er es so schwer fand, sie erwachsen zu finden. Und überhaupt richtet sich Bangkoks käuflicher Sex, so lernen wir bei der Lektüre seines Buchs, kaum an Touristen. Gerade mal fünf Prozent der dortigen Sexindustrie entfallen auf Ausländer. Oder anders ausgedrückt: zwei Straßenzüge. Vielmehr sind die freizügigen Bars und Clubs Geselligkeitsinstitutionen, die die thailändische Kultur ausmachen, so der Autor.

Kritische, scharfsinnige und weltoffene Betrachtungen einer Metropole im Dunkeln

Und so beklagenswert die Ausbeutung der Prostituierten auch ist, das größte Problem in Thailand ist nicht der lässige Umgang mit Erotik, sondern es sind die Wanderarbeiter. Roger Willemsen erzählt davon, wie sie von Baustelle zu Baustelle ziehe, für einen Tageslohn von einem Euro ihre Körper schänden und in Massenunterkünften an der Peripherie hausen. Männer aus Kambodscha und Laos, die keine Rechte besitzen. Millionen von Wanderarbeitern, für die sich keine Sau interessiert. Die sich symbolisiert sehen in den Elefanten, die nachts durch die Straßen von Bangkok laufen, ihre verlorene Würde widerspiegelnd. Als Sklaven wie sie, die niemand so nennen will.

Natürlich, „Bangkok Noir*“ ist auch ernst, weil auch Roger Willemsen stets gesellschaftskritisch war. Aber viel öfter sind es die kleinen Geschichten, die das Buch füllen und ausmachen. Willemsen war ein begnadeter Beobachter und schilderte so präzise, dass man sich fragt, ob es nicht einfach frei erfunden ist. Wer kann sich all die Details schon merken? Er, der stets allein reiste, konnte es. Genauso wie er es verstand den Menschen trotz seiner Klugheit und Weisheit stets auf Augenhöhe zu begegnen. Eine seltene Gabe, die Willemsen stets Tür und Tor öffnete und viele im Buch geschilderte Begegnungen erst ermöglicht hat. Er hat nicht nur Bangkok und die Welt bereist, sondern immer auch die Seelen der Menschen.

Bangkok Noir*“ ist das nicht immer einfach zu lesende Nachtporträt einer vielschichten Metropole, die „kein Interesse an den Reinheitsgeboten urbaner Effektivität zeigt“ und gerade deshalb „so urban wie dörflich wirkt“. Es ist ein Buch voller geistreicher Sätze, die noch besser formuliert sind. Von einem Furchtlosen und Neugierigen, den man für das mögen sollte, was er gesagte hat, aber für das lieben muss, wie er es gesagt hat. Von einem seltenen Denker, weil er im „Ernsten unterhalten und das Unterhaltende ernst nehmen“ konnte, wie die „Zeit“ schrieb. Von einem immer fröhlichen Sympathen, der jeden für sich gewann. Von einem der Mal sagte, dass wir das Leben nicht verlängern, aber verdichten können. Der genau das tat, und uns deshalb so sehr fehlen wird.

Bangkok Noir*
von Roger Willemsen

S. Fischer Verlag, Frankfurt
ISBN: 978-3-596-18147-6
ca. 240 Seiten, 9,99 EUR (versandkostenfrei bestellen*)

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