150 Jahre „Tube“
Londoner U-Bahn feiert Jubiläum
Man kann sich heute kaum noch vorstellen, was für eine Revolution es war, als auf den Tag genau vor 150 Jahren in London die erste U-Bahn der Welt fuhr. Die Eisenbahn steckte damals noch in den Kinderschuhen, als bereits um 1860 die Idee aufkam, die Züge unter die Erde zu verlegen. London war damals mit knapp über drei Millionen Einwohnern die größte Stadt der Welt.
Doch wie wir es noch heute von unterirdischen Bahnhöfen gewohnt sind (Stichwort: Stuttgart 21), löste die kühne Vision auch damals nicht nur Begeisterung aus. So fragte beispielweise „The Times“ 1861 wer schon durch Tunnel voller Abwässer, Ratten und Rauch reisen wolle. Schließlich waren es anfänglich noch Dampflokomotiven, die sich den Weg durch den Untergrund bahnten. Urteil der Zeitung: Beleidigung des gesunden Menschenverstandes.
Es war kurz nach 13:00 Uhr, als der Zug der Metropolitan Railway Company am 9. Januar 1863 den Bahnhof Paddington im Westen der Londoner Innenstadt verließ. An Bord waren über 600 Berühmtheiten der viktorianischen Zeit. An jeder der damals fünf Stationen durfte die Dampflok ausgiebig verschnaufen, wollten die zur Jungfernfahrt Geladenen doch ausführlich die unterirdischen Bahnhöfe bestaunen.
Kein Wunder also, dass die Fahrt statt der geplanten 18 Minuten geschlagene zweieinhalb Stunden dauerte. Nachdem Lok und Passagiere die knapp sechs Kilometer lange Strecke der Metropolitan Line erfolgreich absolvierten, wartete im Bahnhof Farringdon ein üppiges Büffet. Premierminister Lord Palmerston blieb der Eröffnungsfeier übrigens fern. Der damals 79-jährige wollte noch so viel Zeit wie möglich über der Erde verbringen, lies er ausrichten.
40.000 Fahrgäste am ersten Betriebstag
Einen Tag später nahm die Underground, wie die Londoner U-Bahn offiziell heißt, ihren Regelbetrieb auf. Gleich am ersten Tag wollten 40.000 Neugierige die U-Bahn testen. Ein Vergnügen muss die Fahrt mit der Untergrundbahn damals jedoch nicht gewesen sein. Es war vor allem der Rauch der Dampflokomotiven, der Ingenieuren und Reisenden gleichermaßen zu schaffen machte. In den Stationen war es heiß, stickig und verrußt. Damit niemand vergiftet wurde, legten die Ingenieure in kurzen Abständen Entlüftungsschächte an. Es wurde mit Absaugvorrichtungen und Sammelbehältern experimentiert.
Auch der Tunnelbau war damals eine Herausforderung. Anfangs wurden einfach ganze Straßenzüge aufgerissen und wieder abgedeckt. Auch wenn sich die Rahmenbedingungen verbessert haben, ist der U-Bahnbau bis heute eine technische und zugleich teure Herausforderung. Vorfälle wie der Einsturz des Stadtarchivs in Köln 2009 wissen davon zu berichten.
1890 wurde die erste elektrische Untergrundbahn der Welt in Betrieb genommen. Von nun an fuhren die Züge durch enge Röhren. Daraus entwickelte sich die umgangssprachliche Bezeichnung „Tube“ (dt. Röhre), die heute Synonym für die Londoner U-Bahn ist. Die neuen U-Bahnstationen lagen so tief, dass Aufzüge und Rolltreppen notwendig wurden. 1908 wurde der erste Fahrkartenautomat aufgestellt. Heute wird der Großteil der Tickets über Chipkarten abgerechnet. Auch darin war London mit der Einführung der „Oyster Card“ im Jahr 2003 führend.
Während des Zweiten Weltkriegs nutzten die Londoner die U-Bahntunnel als Bunker, anfänglich gegen den Willen der Regierung. Zigtausende Menschen konnten so vor den Bomben der Nationalsozialisten geschützt werden. Auch die Kunstschätze des Britischen Museums wurden dort eingelagert. Winston Churchill lies das Kriegskabinett in einer aufgegebenen Station tagen.
Zweitlängstes U-Bahnnetz der Welt
Heute, eineinhalb Jahrhunderte nach der verkehrstechnischen Revolution, die damals wie heute die Platzprobleme eng bebauter Metropolen zu lösen versucht, ist die London Underground 402 Kilometer lang. Weniger als die Hälfte des Netzes befindet sich tatsächlich unter der Erde. Viele Jahre konnte sie den Rekord des längsten Streckennetzes halten, erst kürzlich lief ihr Shanghai den Rang ab.
Die aus elf Linien bestehende Tube besitzt 277 Stationen. Zu den Hauptverkehrszeiten sind mehr als 525 Züge unterwegs. Jeder einzelne von ihnen legt im Jahr mehr als 184.000 Kilometer zurück. 1,2 Milliarden Fahrgäste quetschten sich vergangenes Jahr in die Waggons. Die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt 33 Stundenkilometer. 164 Aufzüge und 426 Rolltreppen befördern die Fahrgäste in die und aus den Stationen.
Schon lange sind die schmalen Bahnsteige und verwinkelten Gänge zu klein für die Menschenmaßen, die das öffentliche Verkehrsmittel heute nutzen. Große Stationen wie die Victoria Station werden in der Hauptverkehrszeit immer wieder geschlossen, um Überfüllung zu vermeiden. Einige der U-Bahnzüge haben mehr als 40 Jahre auf dem Buckel.
Trotz all der Widrigkeiten befördert die Untergrundbahn täglich einigermaßen verlässlich mehr als drei Millionen Menschen, bei steigender Tendenz. Während Großereignissen wie den Olympischen Spielen sind es sogar bis zu vier Millionen Passagiere. Dabei ist die Tube eins der sichersten Verkehrsmittel der Welt, in das seit einigen Jahren wieder kräftig investiert wird.
Nichtsdestotrotz war, ist und bleibt die Tube eine Baustelle. Ein U-Bahnbetrieb rund um die Uhr, wie er zum Beispiel in New York selbstverständlich ist, wäre in London gar nicht möglich. Irgendwann muss das alte und vernachlässigte Netz schließlich geflickt werden. Für die nötigsten Reparaturen werden die Nachtstunden und die Wochenenden dringend benötigt. Es ist daher nicht unüblich, dass an manchen Wochenenden die Hälfte der U-Bahnlinien ganz oder teilweise gesperrt ist.
Vorbild für die ganze Welt
Die Londoner U-Bahn war und ist Vorbild für die ganze Welt. Istanbul war die erste Stadt, die 1875 mit der Stadtseilbahn Tünel ebenfalls eine U-Bahn errichtete. Als Kabelbahn folgte 1896 die U-Bahn in Glasgow. Im selben Jahr ging in Budapest die erste elektrische U-Bahn des Kontinents in Betrieb. Darauf folgten die Metropolen Paris (1900), Berlin (1902), New York (1904), Hamburg (1912) und Moskau (1935).
Die U-Bahn prägte London wie kaum eine andere Einrichtung. Sie ist selbst zu einer Sehenswürdigkeit avanciert. Kein London-Besuch ohne U-Bahnfahrt. Das Logo der U-Bahn, der rote Kreis mit dem blauen Balken, ist heute internationales Kennzeichen für alles Britische. Es verziert Uhren, T-Shirts und Zimmerwände. Viele Fans würden viel dafür geben, ein Originalschild ihr Eigen nennen zu können. Weltweit kopiert wurde der Streckenplan der Londoner U-Bahn, den der Grafiker Harry Beck 1933 entwarf. Beck gab das Netz nicht geografisch korrekt, sondern schematisch wieder, was die Orientierung im verzweigten Liniennetz erheblich verbesserte.
Das Jubiläum seiner U-Bahn feiert London mit diversen Ausstellungen und Veranstaltungen. Zudem wird bei mehreren Nostalgiefahrten wieder eine Dampflok durch Londons Untergrund fahren. So wird die widerbelebte „Met Loco No. 1“ unter anderem den „Carriage No. 353“, den ältesten einsatzfähigen Waggon der Metropolitan Railway, ziehen. Der mit Gaslampen, Holzverkleidung und Polstermöbeln ausgestatten Wagen im viktorianischen Stil ist beliebt. Die Tickets für die Nostalgiefahrten waren sofort ausverkauft.
kommentierte am 10. Januar 2013 um 16:18 Uhr Uhr
[…] oder einen Termin wahrnehmen will, der ist auf die Tube angewiesen. Immerhin ist sie es, die ihre Passagiere seit 150 Jahren zuverlässig ans Ziel bringt. Und dafür wiederum lieben die Berufspendler ihre U-Bahn. Nicht auszudenken, was sie ohne sie tun […]