Buchrezension
„Ich küss dich, Kismet“
Na, das geht ja gut los. Völlig zurecht echauffiert sich Hatice Akyün gleich zu Beginn ihres Buches „Ich küss dich, Kismet*“ über die Vorurteile der Deutschen gegenüber den Türken. Nur um auf den ersten beiden Seiten gleich zweimal die Dickbäuchigkeit der anderen, natürlich deutschen, Talkshowgäste zu betonen, um deren Aussagen es unter anderem im ersten Kapitel geht. Ist die Journalistin, die immer dann besonders gefragt ist, wenn die Integrationsdebatte wieder an Fahrt aufnimmt, also nicht besser als die, die sie für ihre Engstirnigkeit gern kritisiert?
Akyün wurde in Akpınar, einem türkischen Dorf, geboren, wuchs in Duisburg auf und fand in Berlin die Großzügigkeit und Weltoffenheit, die ihrer Seele gut tut. In ihrem ersten Buch („Einmal Hans mit scharfer Soße*„), das mittlerweile mit den üblichen Verdächtigen verfilmt wurde, suchte sich noch einen Mann. Ein Deutscher sollte es sein, aber bitte mit einem Hauch türkischem Temperament, eben der scharfen Soße. Statt Hans kam Ali. Der jedoch war nicht nur optisch so süß wie türkische Baklava, dass die eigentliche Zielsetzung schnell überworfen wurde. Vom Kennenlernen, auch der beiden Familien, und der unvermeidlichen Hochzeit handelt ihr zweites literarisches Werk („Ali zum Dessert*„).
Doch Ali war nicht der richtige, wie der geneigte Leser in Hatice Akyüns drittem Buch erfahren muss. Dass sich eine partnerlose Deutschtürkin, mitten im Leben und auch noch Alleinerziehend, von der Familie so manchen Kommentar anhören muss, kann man sich denken. Glücklicherweise sind es meistens nur hämische Neckereien statt ernstgemeinte Zwangsheiratsabsichten. Dafür sind die Akyüns dann doch zu aufgeklärt und modern. Wenngleich ihr Vater schon mit dem Wiedereinzug ins Elternhaus rechnet.
Fremd im eigenen Land
Von der gescheiterten Ehe einmal abgesehen, stürzt die profilierte Journalistin zu allem Überfluss auch noch in eine Identitätskriese. In dem Land, in dem jeder Ausländer noch immer mit Vorurteilen etikettiert wird wie eine wehrlose Tüte Milch im Supermarkt, fühlt sich Akyün nicht mehr wohl. In dem Land, in dem stets betont werden muss, dass die meisten Straftaten von Ausländern begangen werden. Sie fühlt sich Deutschland nicht mehr zugehörig, Fremd im eigenen Land. Und sie weiß selbst nicht so recht warum, schließlich ist sie es seit jeher gewohnt Etikettenträgerin zu sein.
Da kommt es quasi wie gerufen, dass ihr Vater ihr eine Wohnung in Istanbul schenkt. Zunächst überfordert mit dem Gedanken jetzt Immobilienbesitzerin zu sein, zumal in der Türkei, entschließt sie schnell Berlin den Rücken zu kehren und in Istanbul Fuß zu fassen. Sie will sich keine Auszeit nehmen und legt auch Wert darauf, dass sie nicht zurück in die Türkei gehe. Sie wandert aus!
Wie ernst es der Frau ist, die seit Jahren die Stimme ihres Volkes in deutschen Medien ist, zeigt die Tatsache, dass sie für ihren neuen Plan sogar bereit ist ihre Tochter einige Wochen nicht zu sehen. Während der Nachwuchs beim Vater bleibt, fliegt Akyün nach Istanbul. In der türkischen Metropole blüht die Deutschtürkin auf und findet kaum Zeit ihre Wohnung für ein neues Leben vorzubereiten. Der Entschluss in Istanbul zu bleiben wird jedoch schnell gefällt, was nicht unerheblich mit Cenk zu tun haben dürfte, der Hatice galant die Augen verdreht.
Wenig Istanbul, viele Gefühle
Zugegeben, wir hätten uns in diesem Buch unbedingt noch etwas mehr über Istanbul erhofft. Akyüns Schilderungen über die Stadt und ihre Bewohner wecken nämlich durchaus die Reiselust. Aber es ist nachvollziehbar, dass die Autorin sehr mit sich selbst beschäftigt ist. Und so ist „Ich küss dich, Kismet*“ neben einer Mischung aus Abenteuerurlaub und türkischer Glitzer-Glamour-Soap vor allem eine tiefgründige Identitätssuche.
Zwar ist das dritte (und übrigens nicht letzte) Buch von Hatice Akyün weniger amüsant als die Vorgänger, aber dafür deutlich scharfsinniger. Aber keine Sorge, der Humor kommt nicht zu kurz. Ausgerechnet das emotionalste Kapital, in dem Akyün die Wiege der Familie besucht, ist zugleich das lustigste.
Den größten Respekt nötigt sie ihren Lesern aber mit ihrer klaren kulturellen und politischen Analyse der derzeitigen Türkei ab. Das wird vor allem im letzten Kapital deutlich, in das Akyün ihre ganze Zuneigung und Zerrissenheit zu ihrem Geburtsland legt. Anlass dafür sind auch die friedlichen Proteste auf dem Taksim-Platz aus dem Jahr 2013, die gewaltsam von der Polizei aufgelöst wurden. Trotz ihrer Verbundenheit zum Land kommt sie nicht in die Verlegenheit mit zweierlei Maß zu messen, wie Kritiker ihr ihre Hinweise zum Aussehen der bleichen Deutschen zu Beginn der Lektüre auslegen könnten.
Letztlich bleibt die Auswanderung nur ein gescheiterter aber lehrreicher Versuch. Und die Liebesgeschichte, die einen großen Teil des Buchs einnimmt, endet auch nicht so, wie man es von „Sex and the City“ gewohnt ist. Mit dem Kuss, mit Hatice Akyün dem Schicksaal begegnet, ist ihr dennoch wieder ein lesenswertes, weil sehr offenes und persönliches Buch gelungen, in dem all das thematisiert wird, was die vom Cover so sehr strahlende Frau eben beschäftigt.
von Hatice Akyün
Kiepenheuer & Witsch, Köln
ISBN: 978-3-462-04568-0
ca. 235 Seiten, 14,99 EUR (versandkostenfrei bestellen*)