„Mary Poppins“ in Wien

Superkalifragilistikexpialigetisch

publiziert am 08.05.2015 in Rezensionen, Wien | kein Kommentar

Wissen Sie, was ein Rauchfangkehrer ist? Wir wissen es seit letzter Woche, als wir einer Vorstellung von „Mary Poppins*“ im Ronacher in Wien beiwohnen durften. Schon bei unserer Ankunft erblickten wir auffallend viele Schornsteinfeger, zumal in klassischer Arbeitskluft gekleidet. Dass Schornsteinfeger in Österreich aber Rauchfangkehrer heißen, erfuhren wir erst, als die Dramaturgin des Theaters uns vor Beginn des Musicals darüber in Kenntnis setzte, dass unter den Zuschauern heute anlässlich des Wiener Rauchfangkehrertages über 120 Glücksbringer seien.

Wer entweder die Romane der australischen Schriftstellerin P. L. Travers kennt, oder, und das dürfte eher der Fall sein, den auf den Büchern basierenden Film aus dem Hause Walt Disney gesehen hat, der weiß, warum die Rauchfangkehrer den Abend ihres Ehrentages im Ronacher verbrachten. In der weltbekannten Geschichte von Mary Poppins kommt auch ein Schornsteinfeger vor. Und das Musical hat deshalb die weltweit höchste Schornsteinfegerdichte.

Die Geschichte von Mary Poppins ist schnell erklärt: Völlig unverhofft, aber doch zur Erleichterung der Eltern, taucht das Kindermädchen in der Familie Banks auf, die im Londoner Kirschbaumweg 17 wohnt. Vater George ist Banker, Mutter Winifred mit der Führung des Haushalts nicht ausgelastet, sind dafür doch überwiegend die Dienstboten zuständig. Auch die Kinder machen der Mutter wenig Arbeit, kümmert sich doch ein Kindermädchen um Jane und Michael.

Kindermädchen bändigt Geschwisterpaar

Die beiden Sprösslinge haben jedoch ein Händchen dafür, eine Aufpasserin nach der anderen zu vergraulen. Man könnte sage, sie sind frech, ungezogen und vorlaut, oder einfach lebhaft. Gott sei Dank taucht aus dem nichts Mary Poppins auf, die die Kinder in eine aufregende Fantasiewelt entführt. Eine Welt, in der alles, was sich Kinder wünschen, auch in Erfüllung geht.

Das Musical ist dann auch genauso, wie sich Kinder eine Traumwelt vorstellen, nämlich bunt, laut, schrill. Obwohl wir uns schon so manches Musical angeschaut haben, war noch keins so farbenfroh. Und in kaum einem anderen Musical wird ähnlich viel getanzt wie bei „Mary Poppins“. Dabei wechseln die Tanzstile so häufig wie die Kostüme.

Einer der Höhepunkte der Choreographie ist „Superkalifragilistikexpialigetisch“, bei dem das Ensemble die unzähligen Buchstaben des Fantasiewortes in einer atemberaubenden Geschwindigkeit mit Händen und Füßen visualisiert. Das zweite Highlight ist „Schritt für Schritt“. Ein Gruppe Rauchfangkehrer steppt das gesamte Lied hindurch, auch Mary Poppins gesellt sich hinzu und stellt ihr Stepptalent unter Beweis. Beide Stücke sind tänzerisch mit Sicherheit auch die anspruchsvollsten.

Mehr als nur Unterhaltung

Beide Nummern sind gemeinsam mit dem immer wieder zu hörenden „Chim Chim Cheree“ von Bert die größten Ohrwürmer. Der sympathische Lebenskünstler kennt Mary Poppins bereits und geleitet den Zuschauer durch die gesamte Geschichte. Die Ausstrahlung von David Boyd ist umwerfend. Genau das, was Bert braucht.

Nicht nur Bovd scheint seine Rolle auf dem Leib geschneidert zu sein, auch Annemieke van Dam ist die perfekte Besetzung für Mary Poppins. Ganz generell gibt es am Cast wenig auszusetzen. Zu erwähnen ist natürlich auch die Leistung der Kinderdarsteller, die den ganzen Abend in so gut wie jeder Szene mitspielen.

Das märchenhafte Potpourri der guten Laune ist aber mehr als nur Unterhaltung. Die über 80 Jahre alte Geschichte scheint aktueller denn je. Wie sehr darf die Arbeit das Leben bestimmte? Wie viel Zeit nimmt man sich für die eigenen Kinder? Wer es zulässt, den bringt „Mary Poppins“ nicht nur zum Staunen, sondern auch zum Nachdenken.

Keine Neuerfindung, aber grundsolide

Das Musical orientiert sich mehr an den Büchern, als am mit fünf Oscars ausgezeichneten Film. Von letzterem jedoch hat sie die unverkennbaren Lieder, wenngleich nicht alle genutzt werden, dafür aber auch neue Kompositionen zu hören sind.

Dass „Mary Poppins“ auch in Wien ein voller Erfolg ist und nun bis zum Januar 2016 verlängert wurde, überrascht nicht. Ende 2004 hatte das Musical in London seine Uraufführung, wo es etwas über drei Jahre zu sehen war. Von 2006 bis 2013 war es am Broadway in New York zu sehen. Am 1. Oktober 2014 feierte es in Wien seine deutschsprachige Erstaufführung.

Das Fräulein mit dem Regenschirm verzaubert nicht nur ihre Schutzbefohlenen, sondern vor allem auch die Zuschauer. Und wenngleich es natürlich kaum ein kindgerechteres Musical gibt, kommen auch die Großen voll auf ihre Kosten. Mit „Mary Poppins“ hat man das Genre sicherlich nicht neu erfunden, aber ein grundsolides Musik- und Tanztheater für die ganze Familie auf die Bühne gebracht. Eben einfach superkalifragilistikexpialigetisch.

„Mary Poppins“ ist noch bis zum Januar 2016 im Ronacher in Wien zu sehen. Eintrittskarten erhalten Sie hier.*

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