Stolpersteine
Erinnerung an eine dunkle Zeit
Es war der 16. Dezember 1992, als Gunter Demnig seinen ersten Stolperstein vor dem Historischen Rathaus in Köln verlegte. Niemand hätte damals gedacht, dass der 50. Jahrestag des Befehls Heinrich Himmlers zur Deportation der „Zigeuner“ der Auftakt für ein europaweites Gedenk- und Kunstprojekt werden würde. Doch die Verlegung dieses Steins, auf dem die ersten Zeilen von Himmlers Erlass zu lesen sind, war Keimzelle für die 1993 geborene Idee, aus der Verlegung von Stolpersteinen ein dezentrales Denkmal zu machen.
Ganz egal ob Behinderte, Homosexuelle, Juden, Sinti und Roma oder Zeugen Jehovas – mit den Stolpersteinen will Gunter Demnig allen Opfern der nationalsozialistischen Herrschaft gedenken. Jeder der kubischen Betonsteine mit einer Kantenlänge von etwa zehn Zentimetern trägt auf der Oberseite eine mit dem Beton fest verankerte Messingplatte. Diese ist in der Regel mit dem Namen, dem Geburtsjahrgang und einzelfallabhängigem Texte, häufig dem Deportationsjahr und dem Todesort, geprägt. Die Stolpersteine werden dort ebenerdig in den Gehweg eingelassen, wo die NS-Opfer zuletzt ihren frei gewählten Wohnsitz hatten.
Demnig, der die ersten offiziellen Steine 1997 verlegen durfte, bezeichnet sein Projekt selbst als „Kunstgedenken“. Mit den Stolpersteinen will er den Opfern der nationalsozialistischen Gräueltaten ihre Namen zurückgeben, die sie in den Konzentrationslagern gegen seelenlose Nummern tauschen mussten. Die Namen sollen dorthin zurück, wo die Menschen ihre Heimat und ihr Zuhause hatten. Bewusst werden die Stolpersteine im öffentlichen Raum verbaut, so dass sie jedem Passanten alltägliche Mahnung sind, gesellschaftliche Werte wie Solidarität, Toleranz und Zivilcourage zu verteidigen. Die Dezentralität des Gedenk- und Kunstprojekts stützt den Alltagsgedanken maßgeblich. Mittlerweise sind die Stolpersteine das größte dezentrale Kunstdenkmal der Welt.
Gunter Demnig ist es sehr wichtig, dass jeder der mittlerweile fast 40.000 Stolpersteine handgefertigt wird. Damit setzt er bewusst einen Gegenpol zur maschinellen Menschenvernichtung in den Konzentrationslagern. Jeder Stolperstein wird persönlich vom engagierten Künstler verlegt. Dabei achtet er genau darauf, dass niemand tatsächlich hinfallen kann, sondern ausschließlich mit dem Kopf und mit dem Herzen stolpert. Mittlerweile hat er Stolpersteine in über 750 Gemeinden und Städten in zwölf Ländern verlegt. Zwar liegt der Großteil in Deutschland, doch die Stolpersteine verstehen sich ausdrücklich als europäisches Projekt der Erinnerungskultur. Schließlich ist ein Mensch, egal wo auf der Welt, erst dann vergessen, wenn sein Name vergessen ist.
Die meisten der Stolpersteine liegen in den großen deutschen Metropolen wie Berlin und Hamburg. Doch auch in Oslo, Rom und Warschau finden sich die in den Boden eingelassenen Gedenksteine. München ist einer der wenigen Orte, der gegen die Stolpersteine ist und sich damit der Argumentation einiger jüdischer Vertreter anschließt, die der Meinung sind, dass das Andenken an die Opfer durch die Stolpersteine buchstäblich mit Füßen getreten und damit erneut entehrt würde. Deming setzt dem entgegen, dass jeder, der den Namen eines Opfers lesen will, sich herunterbeugen muss und sich damit vor dem Opfer verbeugt. In München befinden sich Stolpersteine deshalb nur auf Privatgrund.
Wichtiger Gedanken des Projekts ist es, dass sich Bürger und nicht etwa Kommunen um die Finanzierung, Verlegung und Pflege der Stolpersteine kümmern. Gemeinden und Städte müssen lediglich die Genehmigung für die Verlegung erteilen. Zur Unterstützung des Projekts haben sich zahlreiche Initiativen und Vereine gebildet, die unter anderem nach NS-Opfern recherchieren und Spenden für die Steine sammeln. Jeder Stolperstein kostet samt Verlegung 120 Euro. Nach der Verlegung geht der Stein als Geschenk der Bürger in das Eigentum der Gemeinde oder Stadt über.